Die Hochzeit meiner Eltern
Die Hochzeit meiner Eltern
in Der Junge mit dem Fliederstrauß, Inhaltsangabe 18.12.2022 18:05von Harald.Herrmann • | 784 Beiträge
Von der Hochzeit meiner Eltern kann ich nur berichten, was ich an Erzählungen im Laufe der Jahrzehnte aufgeschnappt hatte.
Da ist vieles dabei, was manchen befremdlich vorkommen könnte, war doch die Nachkriegszeit nach dem zweiten Weltkrieg geprägt vom Kampf ums Überleben nach zwei saukalten Wintern, verbunden mit Zwangszuweisungen von Ausgebombten und Flüchtlingen in Häuser, die eigentlich mit den vorhandenen Bewohnern schon am Limit waren, dem Mangel an Lebensmitteln und Brennstoff und der Pfiffigkeit und Bauernschläue der Landbevölkerung.
Nachdem meine zukünftigen Großeltern väterlicherseits sich mit der Situation, dass gegen alle Widerstände und Einwände ihrerseits der zukünftige Hoferbe nicht von seinem Plan, das "Flüchtlingsmädchen", deren Vater - also mein zukünftiger Großvater mütterlicherseits - inzwischen aus russischer Gefangenschaft kommend im Nachbarort Arbeit und Unterkunft gefunden hatte, zu heiraten abzubringen war, wurde unter Mithilfe der Dorfjugendgemeinschaft alles getan, dass eine diese Umstände überwindende Hochzeit stattfinden konnte.
Eine solche Feier ohne Alkohol?
Undenkbar.
Es waren im Ort an entsprechenden Stellen einige "Schwarzbrenner" bekannt, Tauschhandel war gang und gäbe, entsprechende Vorrichtungen zum Vergären diverser Obst- und Kartoffelmaischen wurden an allen möglichen und unmöglichen Stellen versteckt, nächtens zu den Kleinbrennereien verfrachtet und nach getaner Arbeit mit den im Falle der Hochzeit gut zwei Dutzend Schnapsflaschen ging es zurück und die kamen (fast) alle in den Keller.
Zwischenzeitlich wurden bei der Butterherstellung für den Eigenbedarf ein wenig mehr gebuttert, es musste ja genug Butter für die Hochzeitstorte in Form der obligatorischen Buttercremetorte abgezweigt werden.
Enorm wichtig war auch die Möglichkeit, bei der nächsten Hausschlachtung - bei der die zu schlachtende Sau vorher gewogen wurde - eine für diese Feier gut gemästete Schlachtsau zur Verfügung zu haben, die eine tolle zusätzliche Fleisch-, Fett- und Wurst-Ausbeute versprach, wurde doch in Vertretung der "Todeskandidatin" die diesen Weg schon gewohnte Wiegesau" zur Viehwaage getrieben und deren deutlich mindergewichtiges Ergebnis amtlich dokumentiert der Obrigkeit präsentiert.
Nun ja, eine nicht allzu große Speckseite ging schon mal drauf, wenn man in der Apotheke/Drogerie diverse Zutaten erstehen wollte, mit denen aus den klaren Schnäpsen besonder geistige Getränke wie z. B. Liköre gezaubert werden konnten.
Was sonst noch alles an Arbeiten anfiel, die sich mit jedem Tag vor dem großen Ereignis steigerten, waren eingeübte Tätigkeiten der Nachbarn, Verwandten und Hilfskräften, die generationenübergreifend aus immer gleichen Familien kommend bei Aktionen, die eine größere Menge Beteiligte erforderte, abrufbar waren.
Wenn dann bei diesen Helfern etwas anstand, war es klar, dass man dort dabei war, um dort wiederum mit Leuten zusammenzuarbeiten, die zu deren Hilfskreis gehörten.
Im Grund genommen besteht diese Bereitschaft gegenseitigen Helfens in den Dörfern heute noch, wird aber in unserer hoch technisierten Zeit immer weniger abgerufen.
Je näher der Hochzeitstermin rückte, desto mehr der Probleme und Problemchen taten sich auf, die der Tatsache geschuldet war, dass manches, was man benötigte, nicht zur Verfügung stand, einfach nicht aufzutreiben war. Kleidungsstücke und ein Zylinderhut für den Brautvater - der sie durchaus bezahlen können, waren nicht zu bekommen, nach der Zusammenstellung der Liste derer, die eingeladen waren, stellte sich heraus, dass es an Geschirr, Bestecken, Tischen, Stühlen fehlte.
Auch dies wurde irgendwie "gemanagt".
Was Kleidung und Schuhwerk betraf, so waren in jedem Ort geschickte Hände zu finden, die aus verstaubten Dachbodenschränken "herbeigezauberten" Kleidungsstücken tragbare Bekleidung und Schuhe fertigen konnten.
Von meinem schlesischen Opa August weiß ich aus Erzählungen, dass der auf dem Hochzeitsbild von ihm getragene ausgeliehene Zylinder passformmäßig eine Zumutung war, so dass er froh war, ihn nach dem offiziellen Teil, Kirchgang und Gruppenfoto, wieder abgeben zu können.
Die Hochzeit am dritten März 1947 nahm den typischen Verlauf der Hochzeiten der damaligen Zeit.
Natürlich war der Kirchgang - zu dem natürlich festliche Kleidung ein Muss war - der wichtigste Teil der Veranstaltung im Anwesen eines Kirchenvorstandsmitgliedes, meines zukünftigen Opas Wilhelm Herrmann.
Da es noch saukalt war - auf dem Foto des vom Kirchgang auf den Hof einbiegenden Hochzeitszuges sieht man noch einen Schneehaufen an der Ecke des Misthaufens aufgeschichtet - wurde möglichst schnell ein Gruppenfoto aufgenommen, anschließend ging es in die "Goud Stobb", wo der Kachelofen von außen und diverse hochprozentige und/oder heiße Getränke von innen, verbunden mit einem relativ beschränkten Platzangebot dafür sorgte, das niemand frieren musste.
Die "Goud Stobb" dieser Zeit war tatsächlich der größte Raum im Haus, in meiner Erinnerung bis auf den Kachelofen, einen Schrank, eine lange Bank mit einem davor stehenden Tisch und drei, vier Stühlen unmöbliert und wurde nur bei Familienfeiern genutzt. Zwischenzeitlich war sie durchaus mal Lagerraum, an einer Stelle gab es eine Klappe, um Kartoffeln in den Keller zu kippen, kurzum, bevor eine Feier stattfinden konnt, war Leerräumen und Grundreinigung angesagt, bevor man mit eigenen oder in der Nachbarschaft ausgeliehenen Tischen und möglichst Bänken und Stühlen so viel Sitzplätze zaubern konnte, dass die Hauptpersonen dort Platz fanden.
Alle Gäste hatten genug zu essen und zu trinken, zu Erzählen gab es genug, Aufbruchstimmung und Optimismus machten sich breit.
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