Der „zugepackte“ Großvater
in Kurzgeschichten 15.02.2024 21:26von Harald.Herrmann • | 785 Beiträge
Früher war alles ein wenig anders, ob besser oder schlechter, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Ich habe einige Kurzgeschichten verfasst, hier mal eine, die sich tatsächlich so oder ähnlich abgespielt hat …
Der „zugepackte“ Großvater
Es war die Zeit kurz nach dem Krieg, das Leben kam wieder in Gang, auf den Dörfern halt schneller als in den Städten, hatten die Dörfler doch Tricks genug auf Lager, der allgemeinen Kontingentierung der Lebensmittel ein Schnippchen zu schlagen. Dazu gehörte neben anderem auch die " Wiegesau", ein deutlich hinter seinen zur Verwurstung bestimmten Kollegen zurückgebliebenes Schwein, das bei jeder angemeldeten Schlachtung statt der eigentlich zu schlachtenden gut genährten Sau zur dörflichen Viehwaage getrieben wurde.
Na ja, getrieben wurde es nicht mehr, das Schweinchen kannte seinen Weg, der Wiegemeister steckte schmunzelnd seine Wurst oder eine Flasche schwarz gebranntem Schnaps ein, zum Einstellen des Gewichtes waren nur minimale Veränderungen zur letzten Wiegung vorzunehmen, das Gewicht des Schweines wurde auf der Wiegekarte dokumentiert und der dicke Verwandte kam unters Messer.
Mit dieser Methode – eigentlich ein offenes Geheimnis - wurden einige Zusatzkilo Fleisch herausgeschlagen. Die Produktion von Obstweinen und -Schnäpsen lief hinter verschlossenen Türen auf Hochtouren, man prügelte sich fast um alles, was an wilden Hecken und verkrüppelten Bäumen hing, nach kürzester Zeit waren alle Bauern Profis im Schwarzbrennen. Auch die Apotheke in der angrenzenden Kleinstadt hatte sich dem Stil der Zeit angepasst, gegen eine Seite Speck gab es alle Zutaten, um aus einem Kartoffelschalen/Getreideschnaps den besten Likör zu zaubern!
Und so konnte man zum Beispiel beim Dreschen mit der Dreschmaschine genügend zu Essen und zu Trinken anbieten. Viele Helfer waren bereit, nur gegen Verköstigung dort mitzuhelfen, Wurde doch bei solchen Gelegenheiten der "Muckefuck" (selbst gerösteter Ersatzkaffee aus Gerste ) mit einem Drittel echtem Kaffee angereichert, zum Wachwerden beim morgendlichen Dreschbeginn zwischen vier und fünf Uhr.
Hermann, Kriegsheimkehrer, Bauernsohn, lang, dürr und mit großem, kaum zu stillenden Appetit hatte das Glück, mit einem Lohndrescher über die Dörfer zu ziehen, an jedem Tag bei einem Großen oder zwei kleinen Bauern die Dreschmaschine zu bedienen und neben satt zu Essen und Trinken gab es auch noch Geld auf die Hand, wenn er Glück hatte auch mal amerikanische Zigaretten.
Nun kamen Sie eines Tages zum zweiten Bauernhof des Tages, einem kleinen Betrieb, wo das gedroschene Stroh erst einmal im Hof gelagert werden musste, bevor es nach dem Entfernen der Dreschmaschine wieder in die Scheune kam. Der Großvater des Anwesens hatte schon am Morgen beim Nachbarn mitgeholfen, hatte dort auch schon einige Schnäpse getrunken und war nun eingeteilt, die jungen Burschen beim richtigen Aufsetzen der Strohballen zu leiten und ab und zu auch einen Schnaps auszugeben.
Entweder hatte er seine Trinkfestigkeit über-, das warme Wetter unterschätzt, oder beides war der Fall, es spielte im Nachhinein keine Rolle mehr. Nachdem er zum Gaudi der jungen Leute zweimal fast beim Einnicken vom Schemel gefallen war wurde er zum Strohhaufen geführt und da saß Opa Wilhelm nach kürzester Zeit schlafend auf einem Strohbausch. Die Jungspunde grinsten sich an, ein kurzes Nicken und - Ratzfatz - waren mehrere Strohballen kunstvoll um ihn herum aufgebaut und der Opa nicht mehr zu sehen.
Zur Kaffeestunde, zu der es frisch gebackenen Kuchen gab, wurde Opa Wilhelm zwar halbherzig von den Enkeln gesucht und nicht gefunden, da einer zu wissen glaubte, man habe ihn seitens der Dreschmaschinenbesitzer zum Schmied geschickt, um etwas richten zu lassen. Hermann, der sehr wohl die Aktion mit dem Großvater mitbekommen hatte, meinte auf Befragung, dass sein Arbeitgeber für etwa drei Stunden weg sei, um etwas Wichtiges zu holen und vorher durchaus den Opa in die Schmiede geschickt haben könnte.
Als das Dreschen beendet war, die Maschine aus der Scheune rollte und alle Mitwirkenden unter Hochdruck begannen, das Stroh in die Scheune zu bringen, da kam Opa Wilhelm wieder zum Vorschein, friedlich in seiner Höhle schlafend, die Schnapsflasche wie einen Säugling in die Armbeuge gelegt. Man rief halblaut schnell alle Helfer zusammen und durch deren brüllendes Gelächter wurde er endlich wach.
Das Stroh wurde an seinen angestammten Platz gebracht, ebenso Opa Wilhelm, der, gestützt auf Frau und Tochter, Richtung Bett entschwand. Als alle Helfer nach getaner Arbeit in der Stube beim Essen saßen, wurde jede der obligatorisch zu servierenden Schnapsrunden mit Lachsalven bedacht, die Oma Bettchen in der Küche zusammenzucken ließen. Ihr empörter Blick ging dann hoch zur Decke, wo ein Stockwerk höher Opa Wilhelm den Schlaf der Gerechten schlief.
Noch lange war er den Späßen der Nachbarn ausgesetzt, immer wieder wurde ihm aus den Höfen zugerufen: »Wilhelm, willste net e Schnäpsche, wir hole auch en Strohbausch aus der Scheuer!«
Ironie des Schicksals - In besagter Scheuer befindet sich, betrieben von seinen Urenkeln, ein Getränkehandel und dort, wo Opa Wilhelm sein Schläfchen gehalten hatte, steht eine Sitzgruppe, an der an schönen Tagen manche Alkoholika "vernichtet" werden.
Zur Walpurgisnacht, wenn die Dorfjugend ihren Schabernack treibt, sind diese Tische und Stühle sorgsam weg geschlossen, aber in manchen Jahren liegen dort am Morgen nach der Walpurgisnacht einige Strohballen und kurz darauf erscheinen einige junge Leute, die gerne bereit sind, gegen einen Kasten Bier diese wegzuräumen. Auf die Frage, warum das grade hier so ist bekommt man zur Antwort: «Ei, des war doch schon immer so …«
Schade, dass solche Geschichten nicht mehr weitererzählt werden, bis vor zwanzig, dreißig Jahren kannte sie im Dorf jeder …
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