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Mein erster Weihnachtsgottesdienst

in Zwischenablage 10.12.2023 14:25
von Harald.Herrmann | 708 Beiträge

Ich kann mich kaum an die ersten Weihnachtsfeiern erinnern, weiß nur, dass viel vom Christkind erzählt wurde und ich nicht so richtig vorstellen konnte, wie das alles zusammenhing.
Dass da irgendwann ein Kind geboren wurde und was dieses Kind mit Gott und der Kirche zu tun hatte, also einer Institution, die in unserem Haus an jedem Sonntag interfamiliäre Diskussionen auslöste, da mein Opa - der bezüglich Kirche eine wichtige Position innehatte - jeden Sonntagmorgen so viele Familienmitglieder als irgend möglich mit in die Kirche nehmen wollte, diese Zusammenhänge wurden mir erst nach und nach klar.
Legendär für mich war jedes Mal der Ausruf von Oma Gretchen, die das Mittagessen vorbereitet hatte und immer noch diverse Töpfe auf dem Herd "in Position" brachte und prüfte, dass nicht zu viel und nicht zu wenig Feuer im Herd brannt, bis das einsame Läuten einer Kirchenglocke erklang und Oma das Gesangbuch mit den Worten schnappte:
»Es laut des zwäät Zääche, aich muss mich beei’n.«
Und es ging los, "quer üwwer die Biegass, durch Fräwels Hob en de Foahrt", um sich bei einsetzendem Orgelklang mit anderen Leidensgenossinnen in eingespieltem Prozedere auf die Stammplätze der hinteren Bänke zu schieben …

Bis ich dies alles verinnerlichen konnte, das dauerte noch eine Weile, aber ich war wohl 3 Jahre alt, als ich das erste Mal an der Hand von Opa Wilhelm zum Weihnachtsgottesdienst mit in die Kirche gehen durfte.
Passenderweise hatte es geschneit und für mich war es schon ein Erlebnis, an Opas Hand durch den Schnee zu stapfen, zu sehen, wie viele sonntäglich gekleidete Dorfbewohner zur Kirche strebten, sich begrüßten, um dann die Plätze einzunehmen.
Es gab wenig Reibungspunkte, die Stammkirchgänger hatten ihre Stammplätze, und wenn die belegt waren, genügte ein Handzeichen des Berechtigten, um die Ab-und-zu-Kirchgänger auf die hinteren Plätze zu verweisen.
Als alle Plätze belegt waren, wurden vorsorglich von den Konfirmanden organisierte Stühle und Hocker verteilt, wer auch da keinen Platz fand, musste stehen oder sich auf durch Zusammenrutschen auf den Bänken frei werdende handbreite Sitzflächen quetschen.
Während das alles ablief, stand ich an der Brüstung der den Männern vorbehaltenen Empore zwischen den Beinen meines Opas und wollte alles erklärt haben, auch und vor allem das lebende Krippenbild.

»Woarts ob, doas sehste noachher!«
Nun ja, ich gebe zu, ich war hingerissen von allem, was so vor sich ging!
Das Dröhnen der Glocken des vollen Geläutes, von den Konfirmanden mittels dicken Seilen zum Schwingen gebracht ,…
… die Klänge der Weihnachtslieder voll Inbrunst gesungen …
… und dann das Krippenspiel der Viertklässler!
Ich war schwer beeindruckt und meine nur:
»Obba, doas will aich aach emol mache, de Josef spie’n.«
Die Antwort meines Opas war - neben seinem Stolz, mir schon die ersten Zahlen und Buchstaben beigebracht zu haben, mit ein Grund, der Schule entgegenzufiebern und dort auf jeden Fall Jahrgangsbester zu werden:
»De beste Bub en des beste Mädche vo der viert Klass wern de Josef en die Maria!«
Na ja, dass ich das wurde, wäre als Enkel des Kirchenvorstandsvorsitzenden eventuell auch anders zu machen gewesen, aber ich wurde es auf dem so vorgegebenen Weg schon, alles andere wäre für mich auch nicht infrage gekommen.

Als wir die Kirche verließen, wie alle vom Pfarrer noch einmal persönlich mit den besten Wünschen zu einer besinnlichen Weihnacht verabschiedet, das Ritual der gegenseitigen Weihnachtswünsche durchlaufen hatten und es nach Hause ging, da äußerte ich schon den Wunsch, auch mal Pfarrer zu werden.
Das hatte ich jahrelang insoweit auf dem Schirm, dass ich als Gymnasiast tatsächlich ein Jahr freiwillig Latein hatte.
Aber im Konfirmandenunterricht kam die Erkenntnis, dass meine Zweifel an vielem, was Kirche und ihre Botschaft betraf, wohl doch nicht die Grundlage wäre, ein Leben im Dienste dieser Institution zu verbringen.

Nun gut, zu Hause angekommen ging alles seinen Gang, Geschenke waren eher praktischer Art.
Plätzchen und Süßigkeiten gab es genug, die kamen aber anschließend in Dosen, die auf den Küchenschränken deponiert über einen längeren Zeitraum je nach Verhalten zugeteilt wurden.
Also eher spärlich.

zuletzt bearbeitet 10.12.2023 15:50 | nach oben springen


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