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Wie ich zu meinen Paten kam

in Der Junge mit dem Fliederstrauß, Inhaltsangabe 18.02.2022 15:57
von Harald.Herrmann | 708 Beiträge

Wie ich zu meinen Paten kam

Ich wurde im Februar 1948 in dem kleinen oberhessischen Dorf Atzenhain geboren. Dass es mich überhaupt gibt habe ich genaugenommen einem größenwahnsinnigen österreichischen Gefreiten namens Adolf Hitler zu verdanken.

Warum?

Hätte dieser GröFaZ ( ich weiß, das Kürzel hört sich wie eine Vera…che an, war aber seine selbst gestaltete Abkürzung für ► Größter Feldherr aller Zeiten ◄ ein Gefreiter und noch dazu aus Österreich, tz tz ) nicht diesen unseligen Krieg angefangen, hätte die Familie meiner Mutter nicht aus Schlesien flüchten müssen und meine Mutter hätte nie meinen Vater kennengelernt. Ergo, ohne Hitler und ohne Krieg keinen Harald, meine Dankbarkeit darüber hält sich aber durchaus in Grenzen!

Nun, einige andere Zufälle – man kann es wahlweise auch Schicksal oder Vorsehung nennen - haben auch noch hineingespielt. So hatte mein Vater seine langjährige, von den jeweiligen Elternpaaren forcierte Liäson mit einer Dorfschönheit im Krieg beendet, um eine etwas feurigere junge Dame aus einem besetzten Gebiet mit nach Hause zu bringen, was im aber unter Androhung der Enterbung untersagt worden war. Dass die gleiche Drohung später nicht mehr genutzt hat, da hat mein späterer Patenonkel eine entscheidende Rolle gespielt.

Ja, und dass meine Mutter schlussendlich in genau diesem Dorf landete ( und später auch der Rest der Familie ) war auch eine Aneinanderkettung von Zufällen. Zum Kriegsende war sie in Österreich als Flakhelferin im BDM (wer’s nicht weiß, das bedeutete "Bund deutscher Mädchen", wurde aber, da viele dieser Mädchen ihren ganzen Ehrgeiz darin sahen, dem "Führer" so früh wie möglich so viele Kinder wie möglich zu schenken, scherzhaft Bund deutscher Milchkühe genannt) tätig. Nach dem Waffenstillstand blieb sie ein Jahr dort in einer Familie, die sie aufgenommen hatte und gerne dabehalten hätte. Aber alle Deutschstämmigen mussten raus, es ging mit dem Zug nach Alsfeld in Hessen und nur weil dort ein unlustiger Beamter den Zielort verwechselte landete sie in Atzenhain statt in Altenhain.

Da ihr Vater (mein Opa August) schon lange vor Kriegsende eine Reihe von Kontaktadressen angegeben hatte, an die sich alle Familienmitglieder wenden sollten im Falle, dass sie an einer Stelle landeten die relative Sicherheit versprach, war er schon bei der Hochzeit meiner Eltern da, Oma Martha und Tante Else kamen erst nach meiner Geburt an.

Bis es dazu kam musste als erstes meine Mutter Unterkunft und Arbeitsstelle bekommen, und das war bei einer Bauernfamilie im Ort als Magd.

Ironie des Schicksals: Das in der Hitlerzeit übliche Landjahr auf einem Bauernhof hatte sie durch Beziehungen ihres Großvaters, einem so genannten Schaffer (Aufsehe ) auf einem Gut, als Bedienung im Schloss verbracht und nun landete sie auf einem Bauernhof, nämlich dem meines späteren Paten Heinrich Katz (Petter Heini). Dort lernte sie Melken und andere damals übliche Arbeiten rund um die Landwirtschaft, die im Allgemeinen von Frauen bewältigt wurden.

Zur ersten Nachkriegskirchweih (Kirmes) hat es dann gefunkt, mein Vater hatte sich genau sie als Frau in den Kopf gesetzt und konnte das auch gegen seinen Eltern durchsetzen, da mein späterer Patenonkel als Fürsprecher auftrat, die Arbeitswilligkeit und schnelle Auffassungsgabe meiner Mutter sehr lobte und gleichzeitig die Patenschaft für den zuerst geborenen Jungen anbot. Dass damit einer der drei Grossbauern im Ort so für diese Verbindung war hat meinen Grosseltern sehr geschmeichelt und damit war alles im Lot.

Somit stand einer Heirat im März 1947 nichts im Wege, organisiert von einer funktionierender Verwandtschaft und guten Nachbarn. Dass das prima klappte war kein Wunder, in der Nachbarschaft wurden gleich fünf Ehen geschlossen, ein Jahr später waren fünf Buben da, (die späteren Eckebuwwe) und zu jeder dieser Hochzeiten gab’s selbstgebrannten Schnaps literweise, Fleisch war dank der in unserem Stall befindlichen so genannten Wiegesau auch nicht knapp und irgendwie war auch jedes Mal genug Butter zur Hochzeits-( Buttercreme)torte vorhanden.

Zum Thema Wiegesau: Wenn ein Bauer eine Sau schlachten wollte wurde die gewogen und dies Gewicht den Zuteilungsmengen angerechnet. Da nun aber ein wachstumsgestörtes Schlachtschwein bei uns im Stall stand wurde diese Sau zu jeder Schlachtung bei einem benachbarten Bauern zur Viehwaage getrieben und anstatt der tatsächlich später geschlachteten Sau gewogen. Laut meinem Opa Wilhelm brauchte man nur den Verschlag zu öffnen und "des Wuzzche" machte sich auf den Weg. Das Differenzgewicht zur tatsächlichen, schwer gemästeten Sau soll durchaus bei mehr als fünfzig Pfund gelegen haben.

Als ich im Februar 1948 zur Welt gekommen war stand Petter Heini schon am dritten Tag auf der Matte und löste sein Versprechen ein indem er offiziell die Patenschaft anbot. Mit der Schwester meines Vaters war dann auch meine leibliche Tante, von mir immer Gote Minna genannt, sofort bereit und da sie kurz darauf heiratete bekam ich also quasi einen zweiten Patenonkel, der aber, da legte Oma Gretchen als Mutter meiner Gote besonderen Wert drauf, von mir als Onkel Robert angesprochen wurde.

Somit gut versorgt mit allem was die Dorfgemeinschaft und die Kirchengemeinde voraussetzt wurde ich evangelisch getauft und kann mich durchaus noch an die zwei mir von meinem Petter zugestandenen Flaschen Bier erinnern die wir anlässlich meiner Konfirmation zusammen leerten. Weitere alkoholische Getränke konnte ich nicht mehr abstauben, funktionierte doch irgendwie das Verwandtennetzwerk und jeglicher weiterer Versuch an alkoholische Getränke zu kommen wurde mit Hinweis auf die schon konsumierte Menge abschlägig beschieden.

Da wir mit drei Jungen im einen Jahr und drei Jungen im nächsten Jahr durch überkreuz gehende Einladungen nie hätten zusammen Konfirmation feiern können, war die meiner Schwester im darauffolgenden Jahr eine willkommene Gelegenheit, alle gleichaltrigen Nachbarskinder zusammenzuhaben und diese wurden zum Nachmittagskaffee eingeladen. Da es schönstes Sommerwetter war, haben wir uns sehr bald mit einer Kiste Bier im schnell organisierten Bollerwagen in Richtung einer von uns schon länger als Treffpunkt genutzten, immer offenen Feldscheune zurückgezogen. Die war mit genügend Strohballen als Sitz und Ruhekissen bestens geeignet zur Vernichtung der Flascheninhalte und zum Austausch tiefschürfender jugendspezifischer Probleme. Dabei haben wir, drei an der Zahl, die wir am Abend noch an der weiteren Feier teilnehmen wollten, uns vornehm zurückgehalten, während die anderen nach diesem Nachmittag schon ihre nötige Bettschwere erreicht hatten.

Aber das gehört in eine andere Zeit. Jetzt sollte und wollte ich erst mal groß werden ( ist mir mit 1,83 Metern auch gut gelungen, sehr zum Leidwesen meiner direkten männlichen Vorfahren die ich um fast Haupteslänge überragte ) und die zu diesem Vorhaben nötige Nahrungsaufnahme soll ich vom ersten Tag an lautstark eingefordert haben. Da der natürliche Quell meiner ersten Nahrung der angeforderten Menge sehr bald nicht mehr genügte bekam ich zuerst durchgesiebten Haferschleim zugefüttert ( Fläschchen ) und dann, sobald es irgend ging, feste Nahrung. Junge Eltern aufgepasst: Gläschenkost wenn auch vielleicht schon auf dem Markt - im Bauerndorf undenkbar. Da es zu jedem Mittagessen sowieso Suppe gab wurden in dieser Kartoffelstücke, Karotten oder Kohlrabistücke mitgekocht, mit der Gabel zerdrückt und mit einem Stich Butter angereichert. Diese zwei Varianten sollen über lange Zeit meine Hauptmahlzeiten gewesen sein, ab und zu durch Spinat ergänzt Im Gegensatz zu vielen meiner Alterskameraden gehören Karotten und auch Spinat durchgängig bis zum heutigen Tag zu meinen Lieblingsspeisen.

Da es in den Bauerndörfern in dieser Zeit nicht üblich war, dass die Paten zum Geburtstag kamen, war es allgemein üblich, im Winter, wenn alle Zeit hatten, zu sogenannten "Gevatternabenden" einzuladen. Diese Regelung macht erst richtig Sinn, wenn man an die Kinderzahl der vorhergehenden Generationen denkt. So hatte man auch bei fünf und mehr Kindern nur einen Abend auszurichten, zu dem alle Paten aller Kinder eingeladen waren. Man selbst ging zu mehreren anderen, natürlich immer mit anderen Besetzungen und alle waren es zufrieden.

Da nach einem Abendessen sich die Frauen zum Stricken und zwecks Erfahrungsaustausch in die "Gute Stube" zurückzogen wurden wir in jungen Jahren dorthin mitgenommen, später war es uns - wie den Männern sowieso - freigestellt, dabeizusitzen und zuzuhören oder in der Küche sich zu den rauchenden, trinkenden Kartenspielern zu gesellen. Manch nicht des Kartenspiels mächtige Männer zogen es sowieso vor, bei den Frauen zu bleiben, wurde doch das vergangene Jahr in durchaus Karnevalsreden ähnlicher Qualität aufs Korn genommen. Da wie gesagt die Zusammensetzung jedesmal anders war hatte man immer genug Gesprächsstoff über grade mal Nichtanwesende und mich beschlich schon eine Ahnung, wie woanders über uns hergezogen wurde. Getoppt wurden solche Abende natürlich durch die Anwesenheit auswärtiger Gäste, bekam man doch so die neuesten Nachrichten aus dem Umland oder gar aus einem der naheliegenden Städte.

Was solche winterlichen Treffen sonst noch alles bewirkten hat so mancher Arzt, Tierarzt, Viehhändler und natürlich die in jedem Dorf vorhandenen kleinen Gemischtwarenläden zu spüren bekommen, denn kleinere Fehler wurden verziehen, große nicht. Ach ja, und wenn an einem solchen Abend dem Alkohol besonders zugesprochen wurde, so konnte es vorkommen, dass uns Mutter oder Oma so gegen zehn Uhr abends Geld in die Hand drückte, dazu zwei leere Schnapsflaschen und wir beim, von uns Onkel Hans genannten, Schnapshändler die Flaschen füllen ließen. Die späte Abendstunde war nie ein Problem, saßen doch um die Zeit immer einige Direktabnehmer in der Küche. Probleme wegen Alkoholgenuss und Fahrtüchtigkeit gab es auch keine, man ging zu Fuß, wichtig waren Taschenlampen (ganz früher wurde den Gästen auch noch heimgeleuchtet) und auswärtige Gäste blieben im Haus oder bei Nachbarn über Nacht

Apropos Paten: Irgendwie hatte ich sozusagen patente Paten!
Das muss einmal gesagt werden!

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