Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. Faustus Auferstehung"
Friedhofs-"Lärm"
Von Harry Popow
Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.
Als der Lärm der Spatenstiche während der Beerdigungen auf den Friedhöfen wegen der Überfülle der heran zu karrenden Toten enorm zunahm, da kam auch einem gewissen Dr. FAUSTUS, der sich schier in seiner Gruft umdrehen wollte vor Wut, das Grübeln. Wer wagt es, ihn, den großen von Goethe geschaffenen Literaturhelden in seiner nahezu 200-jährigen Stille zu stören? Was ist zu tun? Wie sich zu wehren? Gegen wen richte sich der Protest?
Noch bevor die Stille auf dem riesigen Friedhof am Nachmittag für´s erste Ausklang, erinnert sich der hellhörige Dr. FAUST in seiner Gruft an den Urfaust, seinem Vorgänger. Im Gegensatz zur orthodoxen Kirche, die sich durch Urfaust in ihrer Machtposition bedroht fühlte, stärkte Goethe dem Urfaust den Rücken. Rebellieren sei gut und richtig, aber es müsse dem auch Taten folgen. Und so schuf der Dichter ihn, den Dr. FAUST, der stärker als der Urfaust den Herrschenden tüchtig in die Parade fahren würde, als moderner Mensch, der dem Menschenrecht Genüge tun sollte. Aber es hilft ihm, dem Grufti, kein nachträgliches Klagen. Schuld habe schließlich der Teufel. Er, der Mephisto, habe ihn immer wieder abgelenkt von seinem Streben, ein moderner Mensch zu werden. Gewiss, FAUST wurde dadurch angehalten, im Menschen jedwegen Zweifel, jeglichen erdenklichen Widerspruchsgeist zu nähren. Warum? Der strebende Mensch solle nicht erschlaffen, solle wach bleiben, Fragen stellen, neugierig bleiben, sich nicht durch Tricks und Betrügereien von seinem Bemühen um Menschlichkeit ablassen.
FAUST wird in seiner Gruft sehr nachdenklich. Überflüssiges Denken? Das ins Nichts führt? Was könne denn er, der Alte Grufti heute noch bewirken? Und warum?
Vorsichtig öffnet er den Deckel über seiner Gruft. Tief atmet er durch. Öffnet ganz behutsam die Augen. Sieht sich bewundernd um: Bäume, Gräber, leichter Wind in den Baumkronen. Eine liebliche Melodie. Vogelgezwitscher. Plötzlich fahren Autos vor. Laden Särge ab. Will kein Ende nehmen. Jemand, der Friedhofswärter wohl, brüllt über ein Sprachrohr: „Keine Kapazität mehr. Bringt die Leichen woanders hin.“
Doch weitere Autos mit Särgen halten vor dem Friedhofstor. Männer in schwarzen Kapuzen und mit Masken vor Mund und Nasen schleppen sie zu einem bereits vorbereiteten größeren Grab. Der Friedhofswärter erneut, er habe keinen Platz mehr, der stille Ort sei bereits überfüllt... Doch Polizei hält ihm den Mund zu, er solle sich bitte der Obrigkeit fügen, denn sie habe alles fest im Griff.
Die Auferstehung eines Grufti bleibt nicht unbemerkt. Ein Polizeiauto mit Sirene. Platz da für einen hohen Beamten. Ohrenbetäubender Lärm. In einer plötzlichen Ruhe ist ein lautes Stöhnen zu hören. Die Obrigkeit sieht mit Erschrecken: Eine Gruft öffnet sich. Ihm entsteigt eine alte Figur mit sehr langem Bart. Schaut sich neugierig um.
Ein Chor erklingt: „Thränen des Vaterlandes“. Einige Grableute glauben, Goethes FAUST in dem Alten entdeckt zu haben. Sie schreien auf: „Was willst Du denn hier? Wir haben andere Zeiten. Geh ins Grab zurück.“
Andere wieder: „Lasst ihn gewähren. Er musste sterben, weil Mephisto ihn dazu getrieben hat.“
FAUST, sehr leise: „Ich will Euch alle Erdenkinder vor Unheil schützen. Bin aufgewacht, um Euch zu sagen, hütet Euch vor den Teufeln.“
Zwischenruf eines Arbeiters: „Die gibt es nicht mehr. Dafür aber ein Virus, der uns zu schaffen macht und uns alle einsperren will, ne richtige Knechtschaft.“
FAUST: „Beruhigt euch, alles hat seine Ursachen. Man muss nur herauskriegen, woher der Wind mit dem Unheil kommt. Das zu erkennen, dazu reicht nicht euer sinnloses Staunen und Begaffen der Symptome.“
Ein Arbeiter: Kommt alle, dem Alten ist nicht zu helfen. Machen wir besser weiter wie bisher... Und sie graben weiter an zusätzlichen Gräbern, denn es kommen immer mehr Frachten mit Särgen. Werden auf dem Feld bestattet, da der Friedhof überfüllt ist. Der Bauer flucht.
Jetzt deutlich hörbar: Ein unsichtbarer Chor:
Thränen des Vaterlandes / Anno 1636.
Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret! Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun / Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret. Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret. Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun / Die Jungfern sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret. Hir durch die Schantz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt. Dreymal sind schon sechs Jahr / als vnser Ströme Flutt / Von Leichen fast verstopfft / sich langsam fort gedrungen. Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod / Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.
(Sonett von Andreas Gryphius)
Während es über der Gruft im Friedhof – wo sonst nur Totenstille herrscht – nach wie vor ein Scharren und Schippen und Fluchen zu hören sind, wendet sich der Zeitzeuge an Dr. FAUSTUS, der seit 1831 hier in der Gruft in Frieden ruht, und flüstert ihm zu: „Herr Doktor, wenn ich nicht irre, dann scheint die Ruhe dahin. Über uns in den Weiten des großen Friedhofes scheinen sich Dinge abzuspielen, die für recht ungewöhnlich gelten. Bei ihrer sprichwörtlichen Wissbegier, was das Menschliche und Göttliche betrifft, ihrem Streben, allwissend zu sein und den Dingen auf den Grund zu gehen, dürfte das derzeitige Geschehen an der Erdoberfläche durchaus von Interesse sein.“
FAUST, stöhnend: „In meiner Erinnerung bin ich gerettet worden und trage keinerlei Verantwortung mehr für das Irdische.“ Lasst mich weiter ruhen in Frieden und in Gottes Schoß.“
Zeitzeuge: „Sie haben ja so Recht, verehrter Dr. FAUST, aber nunmehr wirft man Ihnen im modernen Zeitalter des 21. Jahrhunderts Mord- und Totschlag vor, den sie auf Geheiß des Teufels begangen haben. Also ließen Sie Ihren Drang nach Wissen und Bildung zugunsten einer euphorischen Bindung an Liebesbetäubung und Lustbarkeit in den Himmel fahren, um nur Ihrer persönlichen Begierde zu folgen. Glaubten Sie wirklich, dass dies Verhalten einem edlen Menschen gut zu Gesicht steht? Ist es nicht deutlich genug: Wer sich mit dem Teufel einlässt, sei unrettbar verloren?“
FAUST: „So unrecht ist das nicht. Man muss überlegen, auch wenn es, so scheint es, für nachträgliche geistige Einkehr viel zu spät ist. Ich habe wohl egoistisch mein Streben, Göttliches zu erreichen, bedenkenlos andere Menschen zugrunde gerichtet. War ich nur Schuld? Oder waren es die Umstände, die mich zu dem frevelhaften Pakt mit dem Teufel getrieben haben? Ich will herausfinden, ob mich die Schuld alleine trifft.“
FAUST stutzt. Ganz in seiner Nähe hat sich offenbar eine Bestatterin in Position gebracht. Was sie da offenbart, lässt ihn im Innersten erschüttern:
1. Rede:
Und doch leben wir in schwierigen Zeiten… Staatliche Zwangsmaßnahmen wegen einer Pandemie unterdrücken jedes Lebensgefühl. Und es ist völlig unverständlich, wieso gerade dieser letzte Abschied von einem geliebten Menschen, diese wertvollen letzten Stunden und Minuten im Leben eines Sterbenden, unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie so herzlos, so mitleidlos und mit einer unmenschlichen Kälte durch die Regierung dieses Staates behindert, ja unmöglich gemacht werden. Und es ist eine Schande, dass die Toten, auf deren Totenschein „infektiös“ oder „Covid“ steht, in einem Plastiksack wie Unrat beseitigt werden und die Nahestehenden sich nicht einmal mehr von ihren Angehörigen verabschieden können.
Eine Gesellschaft, die so mit den Menschen umgeht, wie wir es heute erleben, ist es wert, daß sie zugrunde geht. Diese Gesellschafsformation ist der Kapitalismus. Sie beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter. Der Kapitalismus stürzt von einer Krise in die andere. Millionen und Abermillionen Menschen werden an den Rand gedrängt, sind nutzlos, werden ausgespien und sterben verfrüht. Kinder verhungern, alte Menschen siechen dahin, bis der Tod sie abholt.“
2. Rede
Kliniken, die aus allen Nähten platzen. Schwerstkranke, die sich vor Intensivstationen stauen und elendig auf ihren Tod warten. Ärzte, die notfalls auswürfeln müssten, welchem Patienten sie helfen und welchem nicht. Im Zuge der Corona-Krise haben sich Bilder wie diese tief im kollektiven Bewusstsein eingegraben. Seit über einem Jahr beschwören Politiker, Wissenschaftler und Medien das Szenario eines Gesundheitssystems vorm Kollaps: Steigende Infektionszahlen, steigende Krankenzahlen, steigende Todeszahlen – wird man dem Virus nicht Herr, sind italienische Verhältnisse programmiert. Selbst bei sinkenden Zahlen dräut es aus allen Kanälen: Lassen wir heute den Lockdown schleifen, erleben wir morgen unser Bergamo.
Warnungen nach diesem Muster sind unser täglicher Begleiter und mit wachsenden Inzidenzen ereilen sie uns mit noch größerer Häufigkeit. „Durch die Mutationen werden die Krankheitsverläufe auch länger und schwerer.
FAUST bereut nicht, seine Gruft verlassen zu haben. Er ist wütend und ratlos zugleich. Der Zeitzeuge hat recht. Er wird der Gruft endgültig den Rücken kehren. Zumal er mit Schrecken und Neid soeben vernommen hat, der Urfaust in der Gruft nebenan hat längst sein unterirdisches Gefängnis verlassen. Wie FAUST oft von ihm gehört hat, wird er wohl aufs große Austoben aus sein, ohne Sinn und Verstand. Das hält FAUST nun vollends nicht davon ab, selbst das irdische Paradies erneut zu betreten und zu durchforsten. Und ob auch Mephisto erwacht ist? Vorsicht ist geboten. Noch kann FAUST nicht einmal ahnen, dass die Sterbe-Statistik seit Beginn der Pandemie bis Juli 2021 nicht einmal die normale Höhe überschritten habe.
Der Zeitzeuge:
Es geht um die Hinwendung zu Erkenntnissen über Leben und Welt. Während Urfaust für einfaches Rebellieren ist gegen Ungemach der Kirche usw., ist FAUST nach dem Motto „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ für die Anerkennung der ewigen Veränderungen und der stets neuen Widersprüche, denen sich der Mensch stellen muss, will er vorwärtskommen. Ziele und Motive der beiden sind sehr unterschiedlich, trotz ihrer hohen wissenschaftlichen Bildung. Das heißt für HEUTIGE: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, auch Versprechen der Oberen, es wird alles beim Alten bleiben, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.
Das sich stets wiederholende WIR und andere EINHEITSFLOSKELN“ täuschen die Massen und führen sie – statt zur Lieben zum Leben und zum Planeten – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden.
In diesem Augenblick, bevor Dr. FAUSTUS sich richtig umsehen konnte auf diesem Friedhof, tritt – wie erwartet, Mephisto an ihn heran und spricht:
[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. ... Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element. (Johann Wolfgang von Goethe, 17491832, deutscher Dichter)
FAUST winkt ab: Er denke nicht mehr daran, auf Leichtsinn und Betrug hereinzufallen. Im Gegenteil: Er sei auf der Spur von Widersprüchen, die, einmal erkannt, zu Lösungen dringend Anlass geben. Hatte nicht Goethe bereits von der Dialektik der Widersprüche geschrieben, ohne deren Kenntnis man eins ums andre Mal auf die Nase fallen kann?
Nun will er dem entgegenwirken, was dieser Mephisto ihm immer wieder durch teuflische Ablenkungen verwehrt hat: Mensch zu sein. Stattdessen schob er ihn auf Nebengleise wie Lustbarkeiten, auf kaufmännisches Gebaren, sogar auf´s Morden. Auf diese Art habe dieser Teufel ihn entmündigt. FAUST sinnt nicht nach Rache, aber er ahnt, da stecken noch ganz andere Probleme dahinter. Zumal es ihn stutzig machte, dass die Grabreden, die er soeben vernehmen musste, offensichtlich einem herrschenden Pack gewidmet waren, denn die Ehrfurcht vor diesem schien bei einigen Grableuten so tief zu stecken, dass die Bücklinge vor den Obrigkeiten nicht tiefer sein konnten.
Kurz, er will dem Ansinnen Goethes für eine gerechte Menschenwelt auf die Spur kommen... Er will sich mit seinem langen Oberrock auf den Weg machen...
Doch Mephisto lässt sich nicht so schnell aus dem Feld schlagen. „Eine letzte Bemerkung sei gestattet, lieber FAUST! Ich versprach dir, lieber FAUST, Lebensglück. Dich wollte ich mit Gott vom rechten Weg abbringen.“
Heute sehe es anders aus, das wisse er aus sicherer Quelle, einer Festung, hinter deren Mauern und in den Verliesen sich der reale Teufelspakt unserer Zeit versteckt halte. Aber jedermann wisse von deren Existenz. Für die Menschen, soviel stehe fest, sei die Phase des versprochenen Lebensglücks abgelaufen. Man sei dabei, die Menschen von ihrer Seele loszusagen. Heute schon sei ein Land der Richter und Henker gegen Querulanten und Verschwörer im Aufblühen, auch Dank der Pandemie, die den Ausweg hin zu mehr Zwang von oben nach unten weise. Dazu sei es erforderlich, die Bildung der Bevölkerung stark zu reduzieren.
Gleichzeitig seien große Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens weiter von Privatinteressen durchseucht worden, statt sie endlich zu kappen...
Das habe man kommen sehen. Seit einer sogenannten Notvereinigung von zwei Teilen in Deutschland haben die Machthaber der Zuschauerdemokratie – ohne das Volk zu fragen – alles getan, um die Bildung der Bevölkerung zu reduzieren.
„Woher schöpfst du diese Weisheiten?“, fragt provokativ FAUST den Teufel.
Mephisto: „Mein Pakt mit dir sollte dich abhalten vom Streben nach Macht und bloßer Gier, denn das führt schließlich bis in die heutige Zeit zu einem Teufelskreis, in dem alle Menschen – so oder so oder hier und dort – gefangen sind, abhängig vom Geld und von den Verbrechen der Machterweiterung. Daraus folgt doch: Erkenne die ewigen Veränderungen und die stets neuen Widersprüche an, denen sich der Mensch stellen muss, will er ungeschoren und kultiviert vorwärtskommen. Das heißt doch für alle Zeiten: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, es bleibt stets beim Alten ohne Veränderungen, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.
Man täuscht wohl stets das Volk. Statt zur Liebe zum Leben und Natur und zum Planeten anzuhalten treibe man die Menschen -so befürchte ich bereits jetzt – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren, zum Kaufen und Gehorchen an. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden. Gerade deshalb braucht wohl jeder Erdenbürger so einen kleinen Teufel in sich, um das Zweifeln nicht zu verlernen...“
Nach nahezu 200 Jahren völliger Stille in der Gruft von Dr. Faustus, den Goethe als den modernen Menschen darzustellen versuchte, erwacht Faust durch ungeheuren Lärm. Neue Särge werden in den Friedhof verbracht und neue Gräber geschaufelt. Bis das Getöse und Gedonner immer aufdringlicher wird. Er hält es nicht mehr aus - der Greis im Oberrock des 18. Jahrhunderts. Klettert aus der Grube und will es wissen: Was passiert in der Welt? Manche schreien außerhalb des Friedhofs das Wort „Pandemie“, andere wieder „Klima“, andere wieder „Krieg“, daneben immer zu hören: „Vorsicht vor einem Linksruck, da soll der Mensch ja erzogen werden.“ Dazu fuchtelt die Politik hilflos mit den Armen und jagt den Völkern Angst ein. Grauer Himmel über dem Planeten statt ein „Himmel auf Erden?“ Dem Alten wird übel: „Sind denn alle des Teufels?“
Im Streben nach Erkenntnissen will er ein Mensch bleiben, ein moderner, der stets von sich aus bejaht oder verneint, ohne einen Teufel befragen zu müssen. Um Abhilfe zu schaffen? Nein, dazu ist er nicht befugt, aber für Wißbegier nicht zu alt.
In dieser 382 Seiten umfassenden Lektüre bemüht sich Dr. Faustus – gemeinsam mit seinen gleichgesinnten Freunden – um die Dialektik der Widersprüche, wie es Goethe und alle fortschrittlichen deutschen Dichter und Denker bereits vor ihm getan haben. Sie stoßen auf Konflikte, lösbare und unlösbare. Und auf eine bodenlose Ignoranz, die in der Marktwirtschaft ihr Zuhause hat. Erschrocken wird er sich fragen, ob sein Ausstieg aus der Gruft nicht zu einer neuen und sehr „modernen“ führt? Erst tot und dann noch toter? Wer lässt sich das schon gefallen in diesem Teufelskreis?
In diesem zwischen Wahrem und Fiktivem gesellschaftskritischen Buch geht es weniger um Handlungsabläufe als um Treffen von Gleichgesinnten, die an verschienene Orten – zum Beispiel in Berlin „Zur Letzten Instanz“ und in Leipzig im „Auerbachs Keller“ über Geschichte und Philosophie debattieren. Die Protagonisten sind Freunde eines gewissen Buchnarren, der wirklich existiert und den „Faust“ von Goethe bereits als junger Mensch eifrig gelesen hatte. Alle Freunde, die sich um Faust zusammenschließen gab es und gibt es noch heute. Ein gewisser Michel dient lediglich als Symbolfigur für einen Bürger aus der einstigen Bundesrepublik.
Die Dialoge zwischen den Gleichgesinnten, dabei die Stadt Berlin und andere interessante Orte besuchend, markieren eine tolerante und wissbegierige Gemeinschaft von Menschen, die oft auch sehr unterschiedlich in ihrem Fühlen und Denken sind. Sie vereint mit Faust das Entsetzen über eine Gesellschaft, die zum alleinigen Maßstab das Profitstreben stellt und nichts mit der Geschichte Deutschlands, speziell den Vordenkern, den deutschen Dichtern und Denkern der Aufklärung, der Zeit des Sturm und Drangs, der Renaissance zu tun haben will. Denn schon im IV. und V. Akt zeige Goethe, „dass die europäische Kultur, die seit der Renaissance im Licht der Antike stand, sich am Ende seines Lebens zu verdunkeln begann.“ Zu Beginn des IV. Aktes werde die „barbarische Zeit“ sichtbar. (Siehe Rosa Luxemburg) Faust werde vom Schönheitssucher zum Tatendurstigen. Gewonnen hinsichtlich, den Menschen zu helfen, verloren aber, denn ohne Mephisto gehe es nicht. (Johann Wolfgang Goethe, Faust II, Walter Schaschafik, Reclam S. 68)
Faust lässt es keine Ruhe, in die Tiefe der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu dringen. So lernt er nicht nur das verlogene Menschenbild des Imperialismus, (siehe im Kapitel “Pfundsachen“) sondern auch in der „Festung“ im Verlies den Ursprung der Profiteure der Marktwirtschaft kennen.
Im Kapitel „Das Gespenst“ beschäftigen sich die Freunde des Dr. Faustus mit den für Faust noch unbekannten Philosophen Marx und Engels kennen. Und sie begreifen, dass es seit der Pariser Kommune und mit dem „Kommunistischen Manifest“ bei den Völkern - trotz technischer Fortschritte, die auch dem Gemeinwohl dienen - angesichts des „Gespenstes“ dem Geldkapital nach und nach an den Kragen geht und sie alles zusammenraffen, um diesen „Menschenrechtsverletzern, Querdenkern und Verschwörern“ und den „Verfassungsfeinden“, wie es heutzutage in den bürgerlichen „Qualitätsmedien“ heißt, Paroli zu bieten.
Auf dem Berliner Fernsehturm versuchen die Freunde ein wenig mehr Aussicht für die Zukunft zu gewinnen, werden aber angesichts des Missbrauchs der Digitalisierung im Sinne der Marktwirtschaft bitter enttäuscht.
Der Autor ist wegen der Ernsthaftigkeit des Strebens nach Aufklärung und zahlreicher notwendiger Zitate aus wissenschaftlichen Büchern und Beiträgen aus linken Zeitungen, die u.a. auch ein gewisser „Zeitzeuge“ den Freunden vermittelt, auch um Ironie und Satire bemüht, sich dessen bewusst, dass das Buch „Der Mensch im Teufelskreis“ kein Krimminalroman ist und noch weniger Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt
Gleichwohl kann es jungen Leuten dazu dienen, intensiver über den fortwährenden Klassenkampf zwischen den Industriemächtigen, den Banken, den Marionetten des Polittheaters und dem arbeitenden und unter neuen Kriegsdrohungen leidendem Volk nachzudenken.
Faust allerdings, der sich am Ende zeitweilig zur „Erholung“ in einer Klink wiederfindet, erschrickt bei dem Gedanken, hier auf Erden seine Rolle als moderner Mensch nur in Ansätzen erfüllen zu können. Deshalb kehrt er nicht in die Gruft zurück. Von einer Gruft in die nächste zu steigen, das bringt nichts. Er wird weiter wirken wollen... Raus aus dem Teufelskreis.
Der Leser, so er interessiert genug ist, wird also – so wie Faust – Bekenntnisse von Autoren, Publizisten, Politikern und Usern begrüßen, die sich diesem nahezu totgeschwiegenen Thema widmen. Mögen die Gedankensplitter, dieser bunte Kessel an streitbaren Texten, zu weiterem Nachdenken anregen, zur mentalen Flucht aus mitunter vorgegebener geistiger Enge, verbunden mit Fragen nach dem eigenen Tun. Ein Mix von Belletristik, Ironie, Satire und fundamentalen Erkenntissen, damit verbunden ein Dank an gleichgesinnte Autoren, deren kluge Aussagen sich in treffenden Zitaten wiederfinden.
Vita des Autors:
Der Autor: Geboren 1936 in Berlin-Tegel, erlebte der Autor noch die letzten Kriegsjahre. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier und ab Herbst 1954 Offiziersschüler in der KVP, später NVA. Dort diente er bis 1986 als Zugführer, später als Militärjournalist. Den Titel Diplomjournalist erwarb er sich im fünfjährigen Fernstudium. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete Harry Popow bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Er betreibt als Rentner einen Blog, schreibt Buchrezensionen und Erinnerungen vor allem für die „Neue Rheinische Zeitung“ und für die „Linke Zeitung“. Er ist glücklich verheiratet seit 60 Jahren.
Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. Faustus Auferstehung"
Friedhofs-"Lärm"
Von Harry Popow
Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.
Als der Lärm der Spatenstiche während der Beerdigungen auf den Friedhöfen wegen der Überfülle der heran zu karrenden Toten enorm zunahm, da kam auch einem gewissen Dr. FAUSTUS, der sich schier in seiner Gruft umdrehen wollte vor Wut, das Grübeln. Wer wagt es, ihn, den großen von Goethe geschaffenen Literaturhelden in seiner nahezu 200-jährigen Stille zu stören? Was ist zu tun? Wie sich zu wehren? Gegen wen richte sich der Protest?
Noch bevor die Stille auf dem riesigen Friedhof am Nachmittag für´s erste Ausklang, erinnert sich der hellhörige Dr. FAUST in seiner Gruft an den Urfaust, seinem Vorgänger. Im Gegensatz zur orthodoxen Kirche, die sich durch Urfaust in ihrer Machtposition bedroht fühlte, stärkte Goethe dem Urfaust den Rücken. Rebellieren sei gut und richtig, aber es müsse dem auch Taten folgen. Und so schuf der Dichter ihn, den Dr. FAUST, der stärker als der Urfaust den Herrschenden tüchtig in die Parade fahren würde, als moderner Mensch, der dem Menschenrecht Genüge tun sollte. Aber es hilft ihm, dem Grufti, kein nachträgliches Klagen. Schuld habe schließlich der Teufel. Er, der Mephisto, habe ihn immer wieder abgelenkt von seinem Streben, ein moderner Mensch zu werden. Gewiss, FAUST wurde dadurch angehalten, im Menschen jedwegen Zweifel, jeglichen erdenklichen Widerspruchsgeist zu nähren. Warum? Der strebende Mensch solle nicht erschlaffen, solle wach bleiben, Fragen stellen, neugierig bleiben, sich nicht durch Tricks und Betrügereien von seinem Bemühen um Menschlichkeit ablassen.
FAUST wird in seiner Gruft sehr nachdenklich. Überflüssiges Denken? Das ins Nichts führt? Was könne denn er, der Alte Grufti heute noch bewirken? Und warum?
Vorsichtig öffnet er den Deckel über seiner Gruft. Tief atmet er durch. Öffnet ganz behutsam die Augen. Sieht sich bewundernd um: Bäume, Gräber, leichter Wind in den Baumkronen. Eine liebliche Melodie. Vogelgezwitscher. Plötzlich fahren Autos vor. Laden Särge ab. Will kein Ende nehmen. Jemand, der Friedhofswärter wohl, brüllt über ein Sprachrohr: „Keine Kapazität mehr. Bringt die Leichen woanders hin.“
Doch weitere Autos mit Särgen halten vor dem Friedhofstor. Männer in schwarzen Kapuzen und mit Masken vor Mund und Nasen schleppen sie zu einem bereits vorbereiteten größeren Grab. Der Friedhofswärter erneut, er habe keinen Platz mehr, der stille Ort sei bereits überfüllt... Doch Polizei hält ihm den Mund zu, er solle sich bitte der Obrigkeit fügen, denn sie habe alles fest im Griff.
Die Auferstehung eines Grufti bleibt nicht unbemerkt. Ein Polizeiauto mit Sirene. Platz da für einen hohen Beamten. Ohrenbetäubender Lärm. In einer plötzlichen Ruhe ist ein lautes Stöhnen zu hören. Die Obrigkeit sieht mit Erschrecken: Eine Gruft öffnet sich. Ihm entsteigt eine alte Figur mit sehr langem Bart. Schaut sich neugierig um.
Ein Chor erklingt: „Thränen des Vaterlandes“. Einige Grableute glauben, Goethes FAUST in dem Alten entdeckt zu haben. Sie schreien auf: „Was willst Du denn hier? Wir haben andere Zeiten. Geh ins Grab zurück.“
Andere wieder: „Lasst ihn gewähren. Er musste sterben, weil Mephisto ihn dazu getrieben hat.“
FAUST, sehr leise: „Ich will Euch alle Erdenkinder vor Unheil schützen. Bin aufgewacht, um Euch zu sagen, hütet Euch vor den Teufeln.“
Zwischenruf eines Arbeiters: „Die gibt es nicht mehr. Dafür aber ein Virus, der uns zu schaffen macht und uns alle einsperren will, ne richtige Knechtschaft.“
FAUST: „Beruhigt euch, alles hat seine Ursachen. Man muss nur herauskriegen, woher der Wind mit dem Unheil kommt. Das zu erkennen, dazu reicht nicht euer sinnloses Staunen und Begaffen der Symptome.“
Ein Arbeiter: Kommt alle, dem Alten ist nicht zu helfen. Machen wir besser weiter wie bisher... Und sie graben weiter an zusätzlichen Gräbern, denn es kommen immer mehr Frachten mit Särgen. Werden auf dem Feld bestattet, da der Friedhof überfüllt ist. Der Bauer flucht.
Jetzt deutlich hörbar: Ein unsichtbarer Chor:
Thränen des Vaterlandes / Anno 1636.
Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret! Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun / Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret. Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret. Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun / Die Jungfern sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret. Hir durch die Schantz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt. Dreymal sind schon sechs Jahr / als vnser Ströme Flutt / Von Leichen fast verstopfft / sich langsam fort gedrungen. Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod / Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.
(Sonett von Andreas Gryphius)
Während es über der Gruft im Friedhof – wo sonst nur Totenstille herrscht – nach wie vor ein Scharren und Schippen und Fluchen zu hören sind, wendet sich der Zeitzeuge an Dr. FAUSTUS, der seit 1831 hier in der Gruft in Frieden ruht, und flüstert ihm zu: „Herr Doktor, wenn ich nicht irre, dann scheint die Ruhe dahin. Über uns in den Weiten des großen Friedhofes scheinen sich Dinge abzuspielen, die für recht ungewöhnlich gelten. Bei ihrer sprichwörtlichen Wissbegier, was das Menschliche und Göttliche betrifft, ihrem Streben, allwissend zu sein und den Dingen auf den Grund zu gehen, dürfte das derzeitige Geschehen an der Erdoberfläche durchaus von Interesse sein.“
FAUST, stöhnend: „In meiner Erinnerung bin ich gerettet worden und trage keinerlei Verantwortung mehr für das Irdische.“ Lasst mich weiter ruhen in Frieden und in Gottes Schoß.“
Zeitzeuge: „Sie haben ja so Recht, verehrter Dr. FAUST, aber nunmehr wirft man Ihnen im modernen Zeitalter des 21. Jahrhunderts Mord- und Totschlag vor, den sie auf Geheiß des Teufels begangen haben. Also ließen Sie Ihren Drang nach Wissen und Bildung zugunsten einer euphorischen Bindung an Liebesbetäubung und Lustbarkeit in den Himmel fahren, um nur Ihrer persönlichen Begierde zu folgen. Glaubten Sie wirklich, dass dies Verhalten einem edlen Menschen gut zu Gesicht steht? Ist es nicht deutlich genug: Wer sich mit dem Teufel einlässt, sei unrettbar verloren?“
FAUST: „So unrecht ist das nicht. Man muss überlegen, auch wenn es, so scheint es, für nachträgliche geistige Einkehr viel zu spät ist. Ich habe wohl egoistisch mein Streben, Göttliches zu erreichen, bedenkenlos andere Menschen zugrunde gerichtet. War ich nur Schuld? Oder waren es die Umstände, die mich zu dem frevelhaften Pakt mit dem Teufel getrieben haben? Ich will herausfinden, ob mich die Schuld alleine trifft.“
FAUST stutzt. Ganz in seiner Nähe hat sich offenbar eine Bestatterin in Position gebracht. Was sie da offenbart, lässt ihn im Innersten erschüttern:
1. Rede:
Und doch leben wir in schwierigen Zeiten… Staatliche Zwangsmaßnahmen wegen einer Pandemie unterdrücken jedes Lebensgefühl. Und es ist völlig unverständlich, wieso gerade dieser letzte Abschied von einem geliebten Menschen, diese wertvollen letzten Stunden und Minuten im Leben eines Sterbenden, unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie so herzlos, so mitleidlos und mit einer unmenschlichen Kälte durch die Regierung dieses Staates behindert, ja unmöglich gemacht werden. Und es ist eine Schande, dass die Toten, auf deren Totenschein „infektiös“ oder „Covid“ steht, in einem Plastiksack wie Unrat beseitigt werden und die Nahestehenden sich nicht einmal mehr von ihren Angehörigen verabschieden können.
Eine Gesellschaft, die so mit den Menschen umgeht, wie wir es heute erleben, ist es wert, daß sie zugrunde geht. Diese Gesellschafsformation ist der Kapitalismus. Sie beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter. Der Kapitalismus stürzt von einer Krise in die andere. Millionen und Abermillionen Menschen werden an den Rand gedrängt, sind nutzlos, werden ausgespien und sterben verfrüht. Kinder verhungern, alte Menschen siechen dahin, bis der Tod sie abholt.“
2. Rede
Kliniken, die aus allen Nähten platzen. Schwerstkranke, die sich vor Intensivstationen stauen und elendig auf ihren Tod warten. Ärzte, die notfalls auswürfeln müssten, welchem Patienten sie helfen und welchem nicht. Im Zuge der Corona-Krise haben sich Bilder wie diese tief im kollektiven Bewusstsein eingegraben. Seit über einem Jahr beschwören Politiker, Wissenschaftler und Medien das Szenario eines Gesundheitssystems vorm Kollaps: Steigende Infektionszahlen, steigende Krankenzahlen, steigende Todeszahlen – wird man dem Virus nicht Herr, sind italienische Verhältnisse programmiert. Selbst bei sinkenden Zahlen dräut es aus allen Kanälen: Lassen wir heute den Lockdown schleifen, erleben wir morgen unser Bergamo.
Warnungen nach diesem Muster sind unser täglicher Begleiter und mit wachsenden Inzidenzen ereilen sie uns mit noch größerer Häufigkeit. „Durch die Mutationen werden die Krankheitsverläufe auch länger und schwerer.
FAUST bereut nicht, seine Gruft verlassen zu haben. Er ist wütend und ratlos zugleich. Der Zeitzeuge hat recht. Er wird der Gruft endgültig den Rücken kehren. Zumal er mit Schrecken und Neid soeben vernommen hat, der Urfaust in der Gruft nebenan hat längst sein unterirdisches Gefängnis verlassen. Wie FAUST oft von ihm gehört hat, wird er wohl aufs große Austoben aus sein, ohne Sinn und Verstand. Das hält FAUST nun vollends nicht davon ab, selbst das irdische Paradies erneut zu betreten und zu durchforsten. Und ob auch Mephisto erwacht ist? Vorsicht ist geboten. Noch kann FAUST nicht einmal ahnen, dass die Sterbe-Statistik seit Beginn der Pandemie bis Juli 2021 nicht einmal die normale Höhe überschritten habe.
Der Zeitzeuge:
Es geht um die Hinwendung zu Erkenntnissen über Leben und Welt. Während Urfaust für einfaches Rebellieren ist gegen Ungemach der Kirche usw., ist FAUST nach dem Motto „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ für die Anerkennung der ewigen Veränderungen und der stets neuen Widersprüche, denen sich der Mensch stellen muss, will er vorwärtskommen. Ziele und Motive der beiden sind sehr unterschiedlich, trotz ihrer hohen wissenschaftlichen Bildung. Das heißt für HEUTIGE: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, auch Versprechen der Oberen, es wird alles beim Alten bleiben, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.
Das sich stets wiederholende WIR und andere EINHEITSFLOSKELN“ täuschen die Massen und führen sie – statt zur Lieben zum Leben und zum Planeten – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden.
In diesem Augenblick, bevor Dr. FAUSTUS sich richtig umsehen konnte auf diesem Friedhof, tritt – wie erwartet, Mephisto an ihn heran und spricht:
[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. ... Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element. (Johann Wolfgang von Goethe, 17491832, deutscher Dichter)
FAUST winkt ab: Er denke nicht mehr daran, auf Leichtsinn und Betrug hereinzufallen. Im Gegenteil: Er sei auf der Spur von Widersprüchen, die, einmal erkannt, zu Lösungen dringend Anlass geben. Hatte nicht Goethe bereits von der Dialektik der Widersprüche geschrieben, ohne deren Kenntnis man eins ums andre Mal auf die Nase fallen kann?
Nun will er dem entgegenwirken, was dieser Mephisto ihm immer wieder durch teuflische Ablenkungen verwehrt hat: Mensch zu sein. Stattdessen schob er ihn auf Nebengleise wie Lustbarkeiten, auf kaufmännisches Gebaren, sogar auf´s Morden. Auf diese Art habe dieser Teufel ihn entmündigt. FAUST sinnt nicht nach Rache, aber er ahnt, da stecken noch ganz andere Probleme dahinter. Zumal es ihn stutzig machte, dass die Grabreden, die er soeben vernehmen musste, offensichtlich einem herrschenden Pack gewidmet waren, denn die Ehrfurcht vor diesem schien bei einigen Grableuten so tief zu stecken, dass die Bücklinge vor den Obrigkeiten nicht tiefer sein konnten.
Kurz, er will dem Ansinnen Goethes für eine gerechte Menschenwelt auf die Spur kommen... Er will sich mit seinem langen Oberrock auf den Weg machen...
Doch Mephisto lässt sich nicht so schnell aus dem Feld schlagen. „Eine letzte Bemerkung sei gestattet, lieber FAUST! Ich versprach dir, lieber FAUST, Lebensglück. Dich wollte ich mit Gott vom rechten Weg abbringen.“
Heute sehe es anders aus, das wisse er aus sicherer Quelle, einer Festung, hinter deren Mauern und in den Verliesen sich der reale Teufelspakt unserer Zeit versteckt halte. Aber jedermann wisse von deren Existenz. Für die Menschen, soviel stehe fest, sei die Phase des versprochenen Lebensglücks abgelaufen. Man sei dabei, die Menschen von ihrer Seele loszusagen. Heute schon sei ein Land der Richter und Henker gegen Querulanten und Verschwörer im Aufblühen, auch Dank der Pandemie, die den Ausweg hin zu mehr Zwang von oben nach unten weise. Dazu sei es erforderlich, die Bildung der Bevölkerung stark zu reduzieren.
Gleichzeitig seien große Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens weiter von Privatinteressen durchseucht worden, statt sie endlich zu kappen...
Das habe man kommen sehen. Seit einer sogenannten Notvereinigung von zwei Teilen in Deutschland haben die Machthaber der Zuschauerdemokratie – ohne das Volk zu fragen – alles getan, um die Bildung der Bevölkerung zu reduzieren.
„Woher schöpfst du diese Weisheiten?“, fragt provokativ FAUST den Teufel.
Mephisto: „Mein Pakt mit dir sollte dich abhalten vom Streben nach Macht und bloßer Gier, denn das führt schließlich bis in die heutige Zeit zu einem Teufelskreis, in dem alle Menschen – so oder so oder hier und dort – gefangen sind, abhängig vom Geld und von den Verbrechen der Machterweiterung. Daraus folgt doch: Erkenne die ewigen Veränderungen und die stets neuen Widersprüche an, denen sich der Mensch stellen muss, will er ungeschoren und kultiviert vorwärtskommen. Das heißt doch für alle Zeiten: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, es bleibt stets beim Alten ohne Veränderungen, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.
Man täuscht wohl stets das Volk. Statt zur Liebe zum Leben und Natur und zum Planeten anzuhalten treibe man die Menschen -so befürchte ich bereits jetzt – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren, zum Kaufen und Gehorchen an. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden. Gerade deshalb braucht wohl jeder Erdenbürger so einen kleinen Teufel in sich, um das Zweifeln nicht zu verlernen...“
Exposè
Nach nahezu 200 Jahren völliger Stille in der Gruft von Dr. Faustus, den Goethe als den modernen Menschen darzustellen versuchte, erwacht Faust durch ungeheuren Lärm. Neue Särge werden in den Friedhof verbracht und neue Gräber geschaufelt. Bis das Getöse und Gedonner immer aufdringlicher wird. Er hält es nicht mehr aus - der Greis im Oberrock des 18. Jahrhunderts. Klettert aus der Grube und will es wissen: Was passiert in der Welt? Manche schreien außerhalb des Friedhofs das Wort „Pandemie“, andere wieder „Klima“, andere wieder „Krieg“, daneben immer zu hören: „Vorsicht vor einem Linksruck, da soll der Mensch ja erzogen werden.“ Dazu fuchtelt die Politik hilflos mit den Armen und jagt den Völkern Angst ein. Grauer Himmel über dem Planeten statt ein „Himmel auf Erden?“ Dem Alten wird übel: „Sind denn alle des Teufels?“
Im Streben nach Erkenntnissen will er ein Mensch bleiben, ein moderner, der stets von sich aus bejaht oder verneint, ohne einen Teufel befragen zu müssen. Um Abhilfe zu schaffen? Nein, dazu ist er nicht befugt, aber für Wißbegier nicht zu alt.
In dieser 382 Seiten umfassenden Lektüre bemüht sich Dr. Faustus – gemeinsam mit seinen gleichgesinnten Freunden – um die Dialektik der Widersprüche, wie es Goethe und alle fortschrittlichen deutschen Dichter und Denker bereits vor ihm getan haben. Sie stoßen auf Konflikte, lösbare und unlösbare. Und auf eine bodenlose Ignoranz, die in der Marktwirtschaft ihr Zuhause hat. Erschrocken wird er sich fragen, ob sein Ausstieg aus der Gruft nicht zu einer neuen und sehr „modernen“ führt? Erst tot und dann noch toter? Wer lässt sich das schon gefallen in diesem Teufelskreis?
In diesem zwischen Wahrem und Fiktivem gesellschaftskritischen Buch geht es weniger um Handlungsabläufe als um Treffen von Gleichgesinnten, die an verschienene Orten – zum Beispiel in Berlin „Zur Letzten Instanz“ und in Leipzig im „Auerbachs Keller“ über Geschichte und Philosophie debattieren. Die Protagonisten sind Freunde eines gewissen Buchnarren, der wirklich existiert und den „Faust“ von Goethe bereits als junger Mensch eifrig gelesen hatte. Alle Freunde, die sich um Faust zusammenschließen gab es und gibt es noch heute. Ein gewisser Michel dient lediglich als Symbolfigur für einen Bürger aus der einstigen Bundesrepublik.
Die Dialoge zwischen den Gleichgesinnten, dabei die Stadt Berlin und andere interessante Orte besuchend, markieren eine tolerante und wissbegierige Gemeinschaft von Menschen, die oft auch sehr unterschiedlich in ihrem Fühlen und Denken sind. Sie vereint mit Faust das Entsetzen über eine Gesellschaft, die zum alleinigen Maßstab das Profitstreben stellt und nichts mit der Geschichte Deutschlands, speziell den Vordenkern, den deutschen Dichtern und Denkern der Aufklärung, der Zeit des Sturm und Drangs, der Renaissance zu tun haben will. Denn schon im IV. und V. Akt zeige Goethe, „dass die europäische Kultur, die seit der Renaissance im Licht der Antike stand, sich am Ende seines Lebens zu verdunkeln begann.“ Zu Beginn des IV. Aktes werde die „barbarische Zeit“ sichtbar. (Siehe Rosa Luxemburg) Faust werde vom Schönheitssucher zum Tatendurstigen. Gewonnen hinsichtlich, den Menschen zu helfen, verloren aber, denn ohne Mephisto gehe es nicht. (Johann Wolfgang Goethe, Faust II, Walter Schaschafik, Reclam S. 68)
Faust lässt es keine Ruhe, in die Tiefe der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu dringen. So lernt er nicht nur das verlogene Menschenbild des Imperialismus, (siehe im Kapitel “Pfundsachen“) sondern auch in der „Festung“ im Verlies den Ursprung der Profiteure der Marktwirtschaft kennen.
Im Kapitel „Das Gespenst“ beschäftigen sich die Freunde des Dr. Faustus mit den für Faust noch unbekannten Philosophen Marx und Engels kennen. Und sie begreifen, dass es seit der Pariser Kommune und mit dem „Kommunistischen Manifest“ bei den Völkern - trotz technischer Fortschritte, die auch dem Gemeinwohl dienen - angesichts des „Gespenstes“ dem Geldkapital nach und nach an den Kragen geht und sie alles zusammenraffen, um diesen „Menschenrechtsverletzern, Querdenkern und Verschwörern“ und den „Verfassungsfeinden“, wie es heutzutage in den bürgerlichen „Qualitätsmedien“ heißt, Paroli zu bieten.
Auf dem Berliner Fernsehturm versuchen die Freunde ein wenig mehr Aussicht für die Zukunft zu gewinnen, werden aber angesichts des Missbrauchs der Digitalisierung im Sinne der Marktwirtschaft bitter enttäuscht.
Der Autor ist wegen der Ernsthaftigkeit des Strebens nach Aufklärung und zahlreicher notwendiger Zitate aus wissenschaftlichen Büchern und Beiträgen aus linken Zeitungen, die u.a. auch ein gewisser „Zeitzeuge“ den Freunden vermittelt, auch um Ironie und Satire bemüht, sich dessen bewusst, dass das Buch „Der Mensch im Teufelskreis“ kein Krimminalroman ist und noch weniger Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt
Gleichwohl kann es jungen Leuten dazu dienen, intensiver über den fortwährenden Klassenkampf zwischen den Industriemächtigen, den Banken, den Marionetten des Polittheaters und dem arbeitenden und unter neuen Kriegsdrohungen leidendem Volk nachzudenken.
Faust allerdings, der sich am Ende zeitweilig zur „Erholung“ in einer Klink wiederfindet, erschrickt bei dem Gedanken, hier auf Erden seine Rolle als moderner Mensch nur in Ansätzen erfüllen zu können. Deshalb kehrt er nicht in die Gruft zurück. Von einer Gruft in die nächste zu steigen, das bringt nichts. Er wird weiter wirken wollen... Raus aus dem Teufelskreis.
Der Leser, so er interessiert genug ist, wird also – so wie Faust – Bekenntnisse von Autoren, Publizisten, Politikern und Usern begrüßen, die sich diesem nahezu totgeschwiegenen Thema widmen. Mögen die Gedankensplitter, dieser bunte Kessel an streitbaren Texten, zu weiterem Nachdenken anregen, zur mentalen Flucht aus mitunter vorgegebener geistiger Enge, verbunden mit Fragen nach dem eigenen Tun. Ein Mix von Belletristik, Ironie, Satire und fundamentalen Erkenntissen, damit verbunden ein Dank an gleichgesinnte Autoren, deren kluge Aussagen sich in treffenden Zitaten wiederfinden.
Vita des Autors:
Der Autor: Geboren 1936 in Berlin-Tegel, erlebte der Autor noch die letzten Kriegsjahre. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier und ab Herbst 1954 Offiziersschüler in der KVP, später NVA. Dort diente er bis 1986 als Zugführer, später als Militärjournalist. Den Titel Diplomjournalist erwarb er sich im fünfjährigen Fernstudium. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete Harry Popow bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Er betreibt als Rentner einen Blog, schreibt Buchrezensionen und Erinnerungen vor allem für die „Neue Rheinische Zeitung“ und für die „Linke Zeitung“. Er ist glücklich verheiratet seit 60 Jahren.
[[File:Finanz 001.jpg|none|auto]]Ernst Wolff: „FINANZ TSUNAMI. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“
DIE MONEY-DIKTATUR
Buchtipp von Harry Popow
Es ist wie es einmal war und heute noch ist: Ein Ausspruch von Henry Ford, des Gründers der Ford Motor Company vor über hundert Jahren, hat auch im Jahre 2018 nichts von seiner Aktualität eingebüßt:
Es ist gut, dass die Menschen der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen, denn sonst hätten wir vermutlich noch vor morgen früh eine Revolution.
Wie sonst kämen Politiker unseres Landes während ihrer Ansprachen zum Jahresausklang 2017 dazu, mit salbungsvollen Beruhigungspillen den Zusammenhalt zwischen allen Bürgern zu beschwören und Rüstung und Kriegsgefahr im Interesse der Kapitalmächte sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich total auszublenden? Mehr noch, den enormen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und der privaten Aneignung und somit den fortwährenden Klassenkampf bewusst zu ignorieren? Die Verdummung des Volkes hat Hochkonjunktur. Noch...
Ernst Wolff, geboren 1950, Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor, gab im online-Magazin scharf-links eine punktgenaue Antwort: Die Lage zum Jahresende 2017 scheint extrem widersprüchlich: Die Wirtschaft wächst, die Aktienmärkte verzeichnen Rekordstände, die Arbeitslosenzahlen sinken und die Industrie zeigt ein seit langem nicht gesehenes Maß an Optimismus. Zugleich erstickt die Welt unter der höchsten Schuldenlast ihrer Geschichte, krankt an der größten sozialen Ungleichheit und wird von höheren Risiken als vor der Krise von 2007/2008 bedroht. Und dann heißt es: Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist seit 2008 klinisch tot. Es funktioniert nur noch, weil es wie ein Patient auf der Intensivstation künstlich am Leben erhalten wird, und zwar durch die Zentralbanken.
Es geht um den Aufstieg des Finanzkapitals, aus dem die heutigen Finanzmärkte mit Beginn des 19. Jahrhundert hervorgegangen sind, sagt Ernst Wolff an anderer Stelle. Nun liegt seit September 2017 zu diesem Thema ein hochgradig politisches und mit Akribie geschriebenes Sachbuch vor: „Finanz Tsunami. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.
Auf 192 Seiten in 23 Kapiteln hellt er in sehr allgemeinverständlicher Sprache sozusagen für Jedermann die nach wie vor im Dunkeln operierenden Machenschaften der Finanzelite auf. Er weist nach, dass das Bankensystem auf dem Nährboden des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung entstanden ist und sich durch Kreditgabe an die Industrie zu einem gefährlichen Monster für die weitere Existenz der Menschheit und des Planeten teilweise gewalttätig aber auch mit Besänftigungsphrasen im Interesse des Maximalprofits emporgeschwungen hat.
Supermacht US-Dollar
Die eigentliche Geburtsstunde des globalen Finanzsystems, so der Autor auf Seite 20, sei 1944 durch die Konferenz von Bretton Woods ins Leben gerufen worden. Es wurde beschlossen, „den US-Dollar zum Preis von 35 Dollar pro Feinunze an Gold zu binden“, was zur Folge hatte, dass alle anderen Währungen (außer SU und später Ostblockstaaten) zu festen Wechselkursen an den Dollar gebunden wurden. Damit wurde der Dollar zur Leitwährung und damit zur mächtigsten Währung der Welt. Im August 1971 jedoch wurde die Gold-Dollar-Bindung wegen steigender Goldnachfrage vom damaligen US-Präsidenten Nixon aufgehoben. Von nun an, so Ernst Wolff, basierte das Währungsgefüge nur noch auf Vertrauen in die Stärke des US-Dollar. Daraus folgte wiederum die Wertminderung des Dollar und das Geldsystem geriet ins Wanken. Den Ausweg fand man nunmehr gemeinsam mit Saudi-Arabien innerhalb der OPEC in der Bindung des Dollar an das Erdöl, genannt Petro(Erdöl)dollar. (S. 21) Der Autor verweist sodann auf den Nachkriegs-Boom in Deutschland, auf das Wirtschaftswunder und auf die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einsetzende Deregulierung des Finanzsektors, was Investoren veranlasste, „immer mehr Geld in die Finanzspekulation und im Verhältnis dazu immer weniger Geld in die Realwirtschaft“ zu stecken. (S. 22) In Stichworten auf den Seiten 26 bis 28: Die Realwirtschaf siecht dahin, während die Verschuldung zunimmt, Anfallende Zinszahlungen aber sind auf „ununterbrochenes Wachstum angewiesen“, aber der Finanzsektor schafft keine Werte. Der Zwang der Geldschöpfung aus dem Nichts, gepaart mit Zinssenkungen führen letztendlich „zum Untergang zinsabhängiger Einrichtungen wie Renten- und Pensionslassen und zur Zerstörung vorsorglicher Altersabsicherung“.
Kriege - Destabilisierung mit Gewinn
Was oftmals wenig Beachtung findet: Auf Seite 30 lenkt der Autor die Leser auf die USA-Wirtschaft, die 1944 auf Hochtouren lief, durch konkurrenzlose Absatzmöglichkeiten sowie u.a. durch die seit der Jahrhundertwende eingeführte Fließbandproduktion. Vorteil brachte den USA durch die Vergabe von Kriegskrediten auch die zwei Weltkriege. So auch an Deutschland und „halfen so mit, einen Krieg in Gang zu halten“. (S. 51) Und auf Seite 83 heißt es, das die USA bis 1941 insgesamt etwa 475 Millionen US-Dollar investiert hatten. So waren in den Jahren 1942 bis 1945 die US-Rüstungsindustrie „und die hinter ihr stehenden Geldgeber“ die größten Gewinner. (S. 92) Verallgemeinernd stellt der Autor fest: „Die Praxis der Geldvergabe an beide Seiten im Kriegsfall – mit dem Ziel der Destabilisierung ganzer Regionen oder möglicher Konkurrenten auf dem Weltmarkt – wurde von folgenden US-Regierungen beibehalten und zählt seit mittlerweile über einhundert Jahren zum Standard-Repertoire der US-Außen- und Militärpolitik.“ (S. 52) Wenn mitunter von der Schuld Deutschlands am verbrecherischen 2. Weltkrieg gesprochen wird, so ist das nicht nur falsch, sondern orientiert nicht auf die Spitzen der deutschen Industrie, die beizeiten nach der Machtübernahme mit der NSDAP verhandelt haben. So am 20. Februar 1933 während eines Geheimtreffens zwischen Hitler und 27 Industriellen. Man muss feststellen, das die US-Rüstungsindustrie sowohl am Kampf gegen den deutschen Militarismus nach dem 1. Weltkrieg, als auch am Niederringen der Faschisten als auch am Kampf gegen den Kommunismus und schließlich gegen Terror ihren Reibach gemacht hat.
Verführung zum Anpassen
Die ungeheuren Profite ermöglichten es der Finanzelite und den Machthabern, das Volk gefügig zu machen, es zur Duldung der ausschließlich den globalen Interessen der USA dienenden Politik zu veranlassen. So ließen sich die Westdeutschen vom sogenannten Wirtschaftswunder durch den Marshallplan blenden. Der Autor verweist darauf, dass dieser Plan in den Köpfen der Menschen falsche Vorstellungen weckte. Er war, so Ernst Wolff auf Seite 162, für die US-Wirtschaft ein Konjunkturprogramm. Dieses Geld durfte nur nach Absprache mit den US-Vertretern ausgegeben werde, war also ein Eingriff in die Souveränität der Empfängerstaaten. Wörtlich heißt es: „Der Marshallplan war das genaue Gegenteil eines Hilfsprogramms, nämlich die größte Vermögensumverteilung von Steuerzahlern zu Großkonzernen und Banken, die die USA bis dahin erlebt hatten.“ (S. 102) Zusammen mit der Truman-Doktrin diente er jedoch dazu, die Sowjetunion in die Schranken zu weisen. „Der kommunistische Einflussbereich sollte von nun an nicht mehr nur eingedämmt, sondern unter dem Vorwand, dass Befriedigung nur zu weiterer Aggression und schlussfolgernd zum Krieg führt,“ aktiv bekämpft werden. Das bedeutete grünes Licht für die US-Rüstungsindustrie, für das Wettrüsten. (S. 104) Ernst Wolff stellt auf Seite 106 die Frage, warum die Menschen dieses Spiel, das mit ihnen getrieben wurde, nicht durchschauten und erinnert daran, dass die Menschen in den Nachkriegsjahren zu müde und erschöpft waren und sie durch den Wirtschaftsaufschwung in dem Glauben bestärkt wurden, beeinflusst durch einschläfernde Propaganda der bürgerlichen Medien, „dass ein neues, besseres Zeitalter angebrochen sei. So unbemerkt sei die neue Finanzordnung geschaffen worden, die den Keim für den eigenen Untergang aber bereits in sich trug. (S. 106)
Resümé
Auf Seite 155 resümiert der Autor: Das eigentlich für Notfälle gedachte Gelddrucken ist zur Routine geworden, die Zinssätze bereits im Negativbereich, die Manipulation ist fester Bestandteil des Systems geworden, das Finanzgebäude zerbrechlich. Und schließlich dieser Satz: „Je kritischer die wirtschaftliche und finanzielle Lage der USA wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich die Regierung in Washington für die Option eines Krieges entscheidet. Das Schicksal der USA bis zum völligen Zusammenbruch würde nur noch von zwei Kräften entschieden – der Wall Street und dem Militär. (S. 166) Es sei also nicht mit Reformen getan, etwas zu ändern, sondern so der Autor, mit grundlegenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen, um das globale Finanzcasino abzuschaffen. Wahrheiten und Erkenntnisse zu verbreiten, diese Chance sei einmalig.
Klassenkampf passé?
Herzlichen Dank an den Autor, dessen argumentative Vielfalt und Tiefe gerade auf dem Gebiet der Finanzen und der daraus folgenden Machtfülle jedem wahrhaft politisch Interessierten das geistige Rüstzeug im Sinne einer friedvollen Welt ohne Kapitalismus in die Hand gibt.
Jedoch: Beim gründlichen Lesen dieses hoch informativen Buches hatte der Rezensent mitunter den Eindruck, dass das Finanzsystem von seinen Grundlagen, dem Privateigentum an Produktionsmitteln und somit auch vom Klassenkampf abgekoppelt betrachtet worden ist.
Einerseits führt der Autor auf Seite 73 gerade die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln in der Sowjetunion und auf der Seite 96 die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Elektrifizierung des gesamten Landes und den Aufbau einer Schwerindustrie als Erfolge an, das wäre „im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie innerhalb eines Zeitraumes von weniger als zwanzig Jahren“ nicht durchzusetzen gewesen.
Diese und weitere Maßnahmen „versetzten die UdSSR letztendlich auch in die Lage, Deutschland 1945 militärisch zu besiegen“. (S. 97) Die tiefe Liebe des Volkes zu seinem Vaterland, der aufopferungsvolle Kampf gegen die Faschisten, die hohe Moral der Soldaten und Offiziere der Roten Armee, diese typischen Merkmale einer dem Frieden verpflichteten Armee, blendet Ernst Wolff einfach aus. Auch reduziert der Autor die Macht der Sowjetunion lediglich auf die Funktionärsclique sowie auf Gewalt und Zwang gegenüber der Bevölkerung. Richtig die Bemerkung, dass die UdSSR vor allem „ein Dorn im Auge der Wall Street (war), weil sie ausländisches Kapital wegen ihrer Planwirtschaft und ihres Außenhandelsmonopols noch immer weitgehend verschlossen“ hielt. (S. 98)
Das soll doch nicht etwa heißen, nach 1945, nach der Bildung der sozialistischen Staatengemeinschaft wäre es besser gewesen, im „Interesse des Friedens“, dem Kapital Tor und Tür zu öffnen und die Grundlagen der Stärke auf ökonomischem, politischem und moralischem Gebiet aufzugeben, auf Klassenharmonie zu setzen und den Frieden gegenüber dem weltweit agierenden Finanzkapital auf´s Spiel zu setzen, wenigstens bis 1989?
Der Leser möge bei allen klugen Erkenntnissen und der Mahnung des Autors, „Wahrheiten und Erkenntnisse so schnell wie nie zu verbreiten“ sich selbst ein Urteil bilden und dem Money-Diktat endlich Paroli bieten.
Ernst Wolff: „FINANZ TSUNAMI. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“, Taschenbuch:192 Seiten, Verlag: edition e. wolff; Auflage: 1 (11. September 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3000575332, ISBN-13: 978-3000575334, Größe und/oder Gewicht:14,4 x 2 x 20,3 cm, Preis: 19 Euro
Bisher veröffentlichte Bücher des Rezensenten:
IN DIE STILLE GERETTET
Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)
ZWISCHEN START UND LANDUNG
Eckhard Lange: „Zwischen Start und Landung, Gelebt-gearbeitet-geflogen“, ein Lebensbericht, (Ghostwriter: Harry Popow), 168 Seiten, Preis: 17,50 Euro – Versandkostenfrei, Juli 2013, Druck und Verlag: dbusiness.de Digital Business and Printing Gmbh, Greifswalder Str. 152, 10409 Berlin, E-Mail: greifswalder@dbusiness.de oder info@dbusiness.de , www.copyhouse.de , Telefon: 030 44650342. Buchbestellungen bitte über die email Adresse info@copyhouse.de.
WETTERLEUCHTEN
Harry Popow: „WETTERLEUCHTEN - Platons erzürnte Erben haben das Wort“. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe – ein Zeitdokument“, Verlag: epubli GmbH, Auflage: 1 (18. Dezember 2015), Berlin, 392 Seiten, www.epubli.de , ISBN-10: 3737580650, ISBN-13: 978-3-7375-8065-6, Preis: 21.99 Euro
Im Stillen Park der untoten Seelen
Harry Popow: "Im Stillen Park der untoten Seelen. Tamaras Notizen – auf der Spur von Träumen und ungeweinten Tränen", AAVAA-Verlag, 1. Auflage 2016, Umschlaggestaltung AAVAA Verlag, Coverbild: Harry Popow, 335 Seiten, Taschenbuch, ISBN: 978-38459-1956-0, Preis: 11,95 Euro, Hohen Neuendorf b. Berlin, Neuerscheinungen im Juni: http://www.aavaa.de/Im-Stillen-Park-der-untoten-Seelen Postadresse: Birkenwerderstraße 8, 16562 Hohen Neuendorf, OT Bergfelde, Fax: 49-3303-518 24 49
DÄMMERZEIT
Harry Popow: "DÄMMERZEIT. EIN KESSEL STREITLUST", epubli-Verlag. Taschenbuch, Format DIN A5, 204 Seiten, ISBN: 978-3-7375-3822-0, Preis: 11,99 Euro, zu bestellen: http://www.epubli.de/shop/buch/D%C3%84MM...737538220/52205
Telefon: 030/ 617 890 200
Der Schütze von Sanssouci
Harry Popow: „Der Schütze von Sanssouci. Das Leben mit einer Göttin – Erkenntnisse und Bekenntnisse aus acht Jahrzehnten“, Taschenbuch: 356 Seiten, Verlag: epubli; Auflage: 1 (22. Dezember 2016), Sprache: Deutsch, ISBN10: 3737538301, ISBN-13: 978-3737538305, Preis: 19,99 Euro epubli GmbH - Print-on-Demand & Self-Publishing Verlagsadresse: Prinzessinnenstraße 20, 10969 Berlin Telefon des Verlages: 030 6178900 http://www.epubli.de/shop/buch/Sch%C3%BC...737538305/59563
Krieg und Frieden Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die ''''''''Causa Rose''''''''
Im Unruhestand
Buchtipp von Harry Popow
„Ein Oberstleutnant der Bundeswehr hat den Mut gehabt, seine berufliche Karriere aufs Spiel zu setzen, um die Öffentlichkeit auf die von deutschen Politikern und Generälen verübten Völkerrechtsverbrechen aufmerksam zu machen.“ Dieser erste Satz aus dem Klappentext aus dem Buch „AUSGEDIENT“, herausgegeben von Erhard Crome erinnert zunächst an Don Quijote Anfang der 17. Jahrhunderts, der im angeblichen Kampf gegen den gnädigen Herren und die gnadenlosen Maschinen in Gestalt der Windmühlen anging. Oder an Thomas Mann, der in seiner Erzählung Herr und Hund (1918) folgendes schrieb: „Es kann aber auch sein, daß das Ganze, nach allen Veranstaltungen und Umständlichkeiten, ausgeht wie das Hornberger Schießen und still im Sande verläuft.“ Aber der Offizier der Bundeswehr war und ist ein wissender und kluger Mann, einer, der mit jungen Jahren schon publizistisch und mit Vorträgen politisch ins Geschehen eingriff.
So liest man im Internet Folgendes über seinen Werdegang: Jürgen Rose wurde 1958 als Sohn des ehemaligen Jagdfliegers Unteroffizier Hans-Joachim Rose in Worms geboren. (…) Er verpflichtete sich 1977 als Zeitsoldat und Offizieranwärter bei der Luftwaffe der Bundeswehr. Nach seiner militärischen Ausbildung (…) absolvierte er ab 1983 ein Studium der Pädagogik an der Universität der Bundeswehr München, das er als Diplom-Pädagoge abschloss. Rose war von 1988 bis 1991 Mitarbeiter an der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Waldbröl im Forschungsbereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik. (…) Von 1991 bis 1995 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Politik, Sicherheitspolitik, Wehrrecht und Völkerrecht an der Universität der Bundeswehr München.
Während dieser Zeit veröffentlichte er Beiträge u.a. über das Ende des Kalten Krieges und Nuklearstrategien in militärischen und sicherheitspolitischen Fachzeitschriften. (…) Danach war er von 1995 bis 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am deutsch-amerikanischen Studienzentrum George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen und External Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
Ab 1997 setzte sich Rose dienstlich und öffentlich immer kritischer mit der Bundeswehr und der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland auseinander, was zu Disziplinarverfahren, Versetzungen und Klagen beim Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führte. Der langjährige Berufssoldat Jürgen Rose trat im Januar 2010 als Oberstleutnant in den Ruhestand.
Roses Attacken
Bereits im Vorwort von Dr. Heinrich Hannover liest sich der für die Obrigkeit so beruhigende und aufschlussreiche Satz: „Solange es in der Bundeswehr nur zwei Offiziere gibt, die rechtswidrigen Militäreinsätzen widersprechen, brauchen die Herrschenden nicht(s) zu befürchten...“ Er fügt hinzu, nur wer provoziert hat eine Chance. Jürgen Rose hat provoziert. Ermuntert durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 21. Juni 2005 zum Fall Florian Pfaff, der als Offizier der Bundeswehr die Ausführung von Befehlen verweigerte, die der logistischen Unterstützung des Irak-Kriegs der USA von 2003 dienten – hat Jürgen Rose in "freitag" und "Ossietzky" konsequent und mit scharfen Worten die Bundeswehrführung ins Visier genommen. Er warf ihr vor, einer illegalen Militärinvasion durch die USA Beihilfe geleistet zu haben und bezeichnete den Irak-Krieg als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die deutsche Unterstützung als ein Kriegsverbrechen.
Zu seinem Motiv gibt es auf Seite 600 folgende Aussage: „Der Grund weswegen ich Soldat geworden bin, nämlich auf Grundlage von Recht und Gesetz meinen Verteidigungsauftrag zu erfüllen, ist durch die Beteiligung an einem Angriffskrieg negiert worden.“ Das sei mit seinem Berufsverständnis nicht vereinbar. „Meine sachlichen Versuche der Auseinandersetzung mit diesem Thema wurden brüsk zurückgewiesen. Dann habe ich meine Intensität Schritt für Schritt erhöht, um endlich eine Wirkung zu erzielen.“
Zweifellos: Rose ist ein UNANGEPASSTER. Dem durch sein Studium und durch persönliche Erfahrungen allerdings nicht entgangen sein dürfte, dass die Bundeswehr des nach 1945 aufkommenden Kalten Krieges, forciert durch die amerikanische Besatzungsmacht im Westen Deutschlands, sowie durch die Remilitarisierung Westdeutschlands ein Kind des Kalten Krieges in den Händen des deutschen Kapitalismus und der Sicherung der Herrschaft dienenden Justiz war und ist. Der Mitautor Günther Anders erinnert auf Seite 607 daran, dass alte Hitlergenerale wegen völkerrechtswidriger Verbrechen zwar abgeurteilt, „dann aber im Laufe der fünfziger Jahre, als man wieder deutsche Soldaten als Bollwerk und Speerspitze gegen den Weltkommunismus zu brauchen glaubte, vorzeitig entlassen und in alte Ehren, Gehälter und Pensionen eingesetzt“ wurden.
Der einstige Oberstleutnant Rose verweist auf Seite 622 auf den 2+4-Vertrag, vom deutschen Boden dürfe nur Frieden ausgehen. Er erinnert an den Luftkrieg gegen Jugoslawien (man sprach von der Propagandalüge einer so genannten „humanitären Katastrophe“ im Kosovo), auf die Invasion Afghanistans ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und nicht zuletzt auf das völkerrechtliche Verbrechen der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak und seine Menschen. Und auf der nächsten Seite schlussfolgert er: „Der Angriffskrieg ist der Bundeswehr demnach qua Grundgesetz kategorisch untersagt.“
Mit dem Grundgesetz und anderen Bestimmungen und Paragraphen zur freien Meinungsäußerung im Marschgepäck, begibt sich der Autor also auf eine Irrfahrt zugunsten des Friedens, gegen Angriffskriege und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Er kämpft mit einem zweischneidigen Schwert. Zum Nachteil für den Oberstleutnant, den Aufmüpfigen, mit dem Abschied aus der Bundeswehr, und zum Vorteil für den Leser mit einem Gewinn an Erkenntnissen, wie Friedenswille und grundsätzliche Kritiken an der Macht der Politik und des Militärs zweifelsfrei oft genug abgewimmelt wird. Ein heißes Eisen - dieses Buch.
Bewunderung also für den einstigen Oberstleutnant der Bundeswehr, der im besagten Buch mit seinen 646 Seiten in zwei Bänden seine Odyssee mit den Herrschenden in der BRD dokumentiert. Neben persönlich gefassten Textbeiträgen – so u.a. in der Einleitung, in einem Artikel für die Zeitschrift Ossietzky und im Anhang -, findet der wohlgesinnte Leser eine schier lange Kette von Dokumenten, Mitteilungen an die Vorgesetzten sowie an die jeweiligen Justizorgane, Beschwerden und Reaktionen durch die Betroffenen. Das ist zugegebenermaßen nicht leicht lesbar, vor allem der jeweils ins Spiel gebrachte Gesetzes- und Paragraphendschungel, allerdings für die Entlarvung der Dienstbarkeit der Justizorgane im Interesse der Machterhaltung unabdingbar. Nicht ohne Grund beschränkt der Autor Jürgen Rose den Zweck des Buches lediglich auf den Wert einer gründlichen Dokumentation als auch auf die Möglichkeit, weiter am Thema zu forschen.
Mundtot machen als eine Methode
Interessant sind vor allem die „Entgegnungen und Ausweichmanöver“ der bürgerlichen Justizorgane. Sie beziehen sich vor allem darauf, dass Kritik, wie sie der Oberstleutnant an der verbrecherischen Beihilfe zum Krieg gegen Jugoslawien vorbringt, als „Funktionsstörung“ für die Bundeswehr zu gelten hat. Die prompte Gegenfrage des Beschwerdeführers: Um welche Funktionsstörung handele es sich und für wen? Darauf gibt es – außer in den Kommentaren des Autors und des Herausgebers – keinerlei schlüssige Antworten. Schweigen auch bei andern inhaltlichen Fragen. Ursachenvertuschung, wie gehabt.
Dazu ein Beispiel, eines von vielen: Ein Vorwurf des Jürgen Rose lautet: Mitschuld am Irak-Krieg trügen auch die Friedensverräter im Generalsrock, die sich, Kadavergehorsam leistend und ihren Diensteid brechend, nicht geweigert haben, den ihnen erteilten völkerrechts- und verfassungswidrigen Auftrag zu erfüllen. Die Antwort der Justiz: Verstoß gegen SG §§ 7 (Pflicht zum treuen Dienen), §§ 12 (Pflicht zur Kameradschaft), §§ 10 Abs. 6 (Pflicht zur Zurückhaltung), §§ 17 Abs. 2 (Verhalten außer Dienst)
Der Oberstleutnant bleibt am Ball. Er veröffentlicht Artikel, hält Vorträge, regt Veranstaltungen an. Doch Artikel, so u.a. in der Zeitschrift OSSIETZKYS vom 26.06.2006 lässt die Vorgesetzten und die Justizorgane aufhorchen. Unter der Überschrift „Geist und Ungeist der Generalität“ erscheint am 27. Mai 2006 ein Beitrag mit folgenden Kernsätzen: „Daß die Generalität aufgrund intellektueller Insuffiziens nicht hatte erkennen können, was da vor sich ging, wird man mit Fug und Recht ausschließen dürfen. (…) Da Dummheit ergo auszuschließen ist, bleibt nur noch die zweite Alternative zur Erklärung – und die lautet: Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit. (…) Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten.“ (S. 18)
Nicht unerwartet die Gegenwehr der Herrschenden: Disziplinarverfahren durch mehrere Instanzen, Disziplinarbuße in Höhe von 750 Euro, Beschwerde des Autors beim Bundesverfassungsgericht. Die unglaubliche Erkenntnis: Der Verfassungsbeschwerde komme keine „grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung“ zu. Der Autor dazu: „Das Völkerrechtsverbrechen gegen den Irak und die hierfür erbrachten Unterstützungsleistungen durch die Bundesrepublik Deutschland waren den Verfassungsrichtern nicht eine Silbe wert.“ (S. 19) Was hier nur andeutungsweise zu erkennen ist: Die Politik und die Justiz mogeln sich um ein klares Bekenntnis zu den zu Recht kritisiertem Schweigen zum Irak-Krieg herum. Sie verschweigen den Grund, sie erörtern nicht den Grund der Beschwerde, sie lassen das vom Autor geforderte WOFÜR der so genannten Funktionsfähigkeit der Bundeswehr einfach unbeantwortet, sie deuten den Begriff „Angriffskrieg“ fälschlicherweise in „Operation“ um, sie legen der so genannten freien Meinungsäußerung formale Fesseln an, sie entstellen Sachverhalte, sie sehen als oberstes Prinzip lediglich die ehernen und missbräuchlich nutzbaren Begriffe wie Gehorsam, Disziplin, Kameradschaft – ohne die Frage nach dem inhaltlichen Sinn und dem Wofür zu stellen. Gravierend und typisch für den Umgang mit den Soldaten (und den Medien): Der Soldat solle seine Meinung, auch die kritische, äußern dürfen, aber eine inhaltliche politische Richtung solle tunlichst vermieden werden, denn das schade der besagten Funktionsfähigkeit der Streitkräfte. Klar zu deuten: Es handelt sich um eine gewollte Entpolitisierung, innerhalb und außerhalb der Bundeswehr.
Jürgen Rose kommentiert auf Seite 22: „Um pazifistische Bestrebungen zu verhindern und dem Militärstaat zu nützen, hat die deutsche Justiz im 20. Jahrhundert immer wieder das Recht im Dienste machtpolitischer Interessen instrumentalisiert und ist als politische Justiz (…) tätig geworden.“ Dabei bediene man sich folgender strafrechtlicher Vorwürfe: Angeblicher Landesverrat, Wehrkraftzersetzung, Nötigung, Abschreckung der Kritiker der Wiederaufrüstung. Auf seine eigene kritische Haltung bezogen: Die Bundeswehr werfe ihm vor, gegen die vom Soldatengesetz auferlegte „Zurückhaltungspflicht“ verstoßen und so das „Ansehen der Bundeswehr“ geschädigt zu haben. Er habe sich – das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen – unzulässig politisch betätigt und seine „Pflicht zum treuen Dienen“ verletzt. Eine gute Möglichkeit, so Jürgen Rose, kritische Soldaten mundtot zu machen. (S. 587)
Kriegsprofiteure statt „Konstruktionsmängel“
Daraus lassen sich – was hinsichtlich der neuerlichen Bestimmungen über die Militärdoktrin von der reinen Verteidigungsarmee hin zur Interventionsarmee besonders schwerwiegend ist – Schlüsse für die weitere Außen- und Sicherheitspolitik ziehen hinsichtlich der Methoden zur Abwehr funktionsstörender kritischer Meinungen und zur Verschleierung der aggressiven Absichten der herrschenden Klasse.
Der Oberstleutnant im „Unruhestand“ - auch nach seinem „Ausgedient“, hat allen Grund, dem Thema Krieg und Frieden auf der Spur zu bleiben. Es ist wie eine bittere Erkenntnis, wenn er auf Seite 30 fragt, wie es um den Weltfrieden bestellt sein mag, wenn man den inkriminierten Tatbestand des Angriffskrieges „willkürlich in die Sphäre der Bedeutungslosigkeit“ verbannt. Unübersehbar klaffe heutzutage eine Lücke groß wie ein Scheunentor „in jenem Normalbollwerk, das die verfassungsgebende Versammlung einst gegen das Wiedererstehen des verbrecherischen Militarismus früherer Zeiten errichtet hatte“. (S. 628) Er tippt auf Konstruktionsmängel bei der verfassungs- und strafrechtlichen Normierung des Angriffskriegsverbotes, von Defiziten, dem beizukommen dringend notwendig ist.
Der Herausgeber Erhard Crome bringt das nach wie vor aggressive Streben der deutschen Politik und ihrer willfährigen Bundeswehr sowie der Justiz auf den Punkt, wenn er auf Seite 637 in seinen Nachbemerkungen – Bezug nehmend auf das „Weißbuch“ 2016 – auf einen neuen deutschen „Führungsanspruch“ verweist. „Die Bundeswehr soll ein wirksames Instrument einer neuen deutschen Weltpolitik und Weltgeltung werden.“ Auf Seite 640 klingt es wie ein Weckruf: „Es gibt die Tendenz, den Einsatz in völkerrechtswidrige Kriege zu befehlen und anschließend die Spuren auch juristisch verwischen zu wollen.“
Solotänzer ohne Chancen
Das inhaltsreiche und schwerlastige Sachbuch erfüllt dann seinen Sinn, wenn sehr aufmerksame und politisch interessierte Leser die kritischen Passagen weiterführen zu den Verursachern von Aggressionskriegen, von nach Profit strebenden weltweiten Machtansprüchen. Nicht die Windmühlen gilt es zu bekämpfen, sondern den Eigentümern von Produktionsmitteln massenhaft Paroli zu bieten. Dr. Heinrich Hannover hatte deshalb hart und unverblümt bereits im Vorwort ausgedrückt: Die Herrschenden hätten, „wenn sie Roses Argumentation gefolgt wären, aussprechen müssen, dass bestimmte namentlich benannte Exponenten der herrschenden Klasse auf die Anklagebank gehören“. Aber sie weichen aus, sie schützen sich. Mit Bittstellern und schriftliche Appelle verfassenden Widerständlern, mögen sie noch so die rüden Herrschaften provozieren, hat der Imperialismus immer noch ein leichtes Spiel, trotz der bei mächtigen Protesten wie in Hamburg und die noch oder wieder im Unruhestand befindlichen und ehrlich empörten Mitbürger. Hohe Achtung vor politischen Solotänzern, aber sie haben ohne Rückendeckung im „gemeinen Volk“ keine Chance. Ein Dacapo solcher Rosen-Attacken – diesmal von vielen mitgetragen – wäre bitter notwendig. Die Beherrscher der Windmühlen, um bei diesem Bild für ungläubige Mitmenschen zu bleiben, nennen sich schlichtweg Privateigentümer. Um die geht es, will man Angriffskriegen um des Profits willen weltweit den Garaus machen. Danke also, Herr Jürgen Rose und Herr Cromberg als Herausgeber, dass Sie dem aufgeschlossenen Leser einen sehr scharfen Blick auf die Hintergründe der kapitalistischen Machterhaltung – gleichsam wie durch ein Schlüsselloch – gewährt haben. Dies nicht im politischen Kontext zu sehen ist ohne Zweifel bar jeder Vernunft.
Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die “Causa Rose”, Erhard Crome (Hrsg.), Schkeuditzer Buchverlag, 2016, ISBN 978-3-943931-00-6, In zwei Bänden, insgesamt 646 Seiten, 30 Euro
Online-Flyer Nr. 623 vom 26.07.2017 (Erstveröffentlichung in der NRhZ)
Mathias Bröckers: König Donald, die unsichtbaren Meister und der Kampf um den Thron
Nackter als im Sonnenbad - eine Chronik um Intrigen und Macht
Buchtipp von Harry Popow
Da bekam der DDR-Bürger das große Lachen – als Bundesbürger die DDR-Nackedeis an den Stränden der Ostseeküste entdeckten und pikiert laut aufschrieen, ob dieser „Kulturlosigkeit“. Und nun, nach zig Jahren, gab es nochmals einen Aufschrei, als sich nämlich der neue Präsident Donald Trump sich mit seinen „unqualifizierten“ politischen Äußerungen, vor allem in Richtung Russland – im einzigen Interesse der amerikanischen globalen Macht sich trotz der Proteste der bürgerlichen Parteien, der Republikaner, als sich also dieser neue Milliardär plötzlich ganz nackend zeigte, ohne Skrupel, frech und anmaßend. Nur, die sich da provoziert fühlten, waren und sind letztlich selber, die sich vor aller Welt entblößten und nackend gemacht wurden.
So konnte es denn auch nicht beim Aufschrei bleiben. Dazu gibt das neue Buch von Mathias Bröckers „König Donald, die unsichtbaren Meister und der Kampf um den Thron“ Auskunft. Mehr noch – man stelle sich dieses schauerliche Satirestück auf der Bühne vor. Der Zuschauer entdeckt bei genauem Hinschauen und Lesen „möglicherweise“ Fetzen aus dem wirklichen Leben. Spätestens nach dem Schlussvorhang. Oder nachts im Bett. Oder gar nichts.
Ironie und Satire öffnen bekanntlich eher Herz und Hirn als nüchterne und sachliche Polemik. Der Autor, dessen Buch ich nahezu ohne Unterbrechung mit Vergnügen gelesen habe, präsentiert viele Varianten der Anschaulichkeit, um den Vorgang der Wahlen in den USA und die Gegenwehr gegenüber dem neuen Präsidenten Trump ins Scheinwerferlicht zu stellen. So zum Beispiel die andersartige Benennung von Personen und Zuständen sowie sprachliche Vergleiche, faktenreiche Berichte und sachbezogene Kommentare. Man muss nicht lange rätseln, wer der König Donald ist, wer der Ultraböse, wer die unsichtbaren Meister der Intelligence, wer die Gilde der Herolde und Lautsprecher, welche geheime Macht die Yankee and Cowboy darstellen, wer mit dem exzeptionalistischen Königreich gemeint ist.
Der Zuschauer/Leser - bislang ernste Polemiken zu hören oder zu lesen gewohnt - fühlt sich erkenntnisreich angesprochen, wenn der Autor gleich anfangs feststellt, dass Donald als Ultrarechter zwar aus der derselben Elite-Liga wie seine Vorgänger stammt, aber zu einem anderen Club gehört und seine Spielweise den Apparat und die Strukturen des Königreichs „gehörig durcheinander gebracht“ hat.
Kein Wunder, hält der Neue König seiner in den Tiefen der Gesellschaft agierenden Herolde und Hofschreiber, der im geheimen agierenden permanenten Regierung, den Korrupten und Heuchlern und Großgeldverdienern, den Räubern und Cowboys durch sein nicht immer intelligentes und räuberisches Verhalten ohne Rücksicht auf „Verluste“ den Spiegel vor´s Gesicht.
Abschied vom globalen Denken und Handeln?
Als Außenseiter verschrien, so der Autor, habe der Neue dem regime change (S. 12) eine Absage erteilt. Die NATO sei obsolet. Sanktionen gegen das Reich des Ultrabösen seien Unsinn. Auf Seite 15 wiederholt er den oft zitierten Satz, der Ultraböse sei gar nicht so schlimm und man könne mit ihm auskommen. Doch die Hauptaussage des neuen Königs war, die USA stehe über allem. Der Narzist als Nationalist? Ein Abschied vom globalen Denken und Handeln?
Mit viel Biss und Häme registriert auch der Autor wie andere vor ihm den vielfachen Aufschrei und die Abwehrakrobatik der sich stets als friedliebend gebenden Kapitalelite. Seite 9: Hillary – das sei ein Debakel des Jahrhunderts. S.13: Donald sei die Marionette des ultrabösen Herrschers, S. 21 – was wird aus dem Krieg gegen den Terror, wenn der Feind verloren geht (Bekämpfung der Wickelmützen, des ISIS)?
Jeder Lacher, jede Ironie, jeder noch so große Biss – alles geht am Ohr und Hirn vorbei, wollte man nicht darauf pochen, den Ursachen für profitstrebendes Ungemach und Weltherrschaftsplänen auf den Grund zu gehen. So verweist Mathias Bröckers auf Seite 55 darauf, dass man, um den tiefen Hass auf den schlimmen Donald zu verstehen, in die Tiefen des Staates hinabsteigen müsse, zu den unsichtbaren Meistern der Intelligence, „die als Schattenspieler und Strippenzieher seit Jahrzehnten die Fäden im Königreich in der Hand haben“. Für sie sei eine der größten Unfälle eingetreten. Der Thronfolger stamme nicht aus dem Think-Thank-Land und mache sich scheinbar daran, einen „Sumpf“ trockenzulegen, „den unterirdischen Sumpf des Tiefenstaats, von dessen Existenz die meisten Leute im Königreich eigentlich gar nichts wussten“.
Für die schmähliche Wahlniederlage der Clinton-Maschine musste eine Begründung her. Die fand sich sehr schnell in einer ungeahnten Russophobie. Der Ultraböse „soll mit unsichtbaren Häschern Hillarys Post gestohlen und so Donald auf den Thron“ gehievt haben. (S. 8) Wo bis heute die Beweise fehlen. Doch auch hier liegen die Ursachen noch tiefer. Das Königreich wollte über König Boris, den man den „Wodka-Container“ nannte, so schreibt der Autor auf Seite 76, an die „größten Mineralreserven der Welt“ heran, an Öl, Gas, Metalle, seltene Erden... Die „sibirische Schatztruhe“ hatte das Königreich im Visier. Doch dieses „Geschäft“ vermasselte der ab sofort als „aggressiv“ beurteilte und verurteilte Putin. So malten es ab sofort auch die zahlreichen Fake News, „sodass bald fast alle im Lande vergessen hatten, dass sein Verbrechen eigentlich nur darin bestanden hatte, dass er die Schätze seines Landes nicht weiter umsonst, sondern zum Marktpreis abgeben wollte“. (S. 79)
Was aber hat sich seit König Donald geändert, fragt sich der Autor auf Seite 36? Er hat „die Fassade des politisch korrekten Gefasels von ´Werten` und ´Menschenrechten´, hinter der sich der alte Imperialismus im neoliberalem Gewand tarnte,“ heruntergerissen. „Auf dem Thron sitzt jetzt ein echter Barbar.“
Und dennoch: Auf Seite 163 zitiert der Autor anhand eines Symposiums zur Lage im Königreich folgenden Satz: Von der „unipolaren Sicht der Welt und dem Plan, sie militärisch und wirtschaftlich komplett zu beherrschen, will sich König Donald offenbar verabschieden.“ Bezugnehmend auf die „neue Seidenstraße“ heißt es auf Seite 173: „Wie auf der alten Seidenstraße einst begehrte Güter wie Seide oder Tee aus dem Reich der Mitte in den Westen gelangten, soll dies auch auf den neuen Wegen geschehen...“ (…) „Dieser Handel und Wandel, der mehr als als zwei Drittel der gesamten Menschheit umfasst, wird das exzeptionalistische Königreich als dominierende Wirtschaftsmacht der Welt ablösen. Das Königreich und sein transatlantisches Bündnis stehen vor der Wahl: Krieg oder Kooperation.“
Für diejenigen, die das Nachdenken nicht verlernt haben
Die Botschaft des Autors ist gelungen: Er zeigt nicht nur den König nackt und nicht ohne Warnung, sondern auch jene, die ihn hassen und bekämpfen. Ihre wahren Absichten, ihre Machtansprüche. Ihre Lügen und Verleumdungen. Ihr Schüren von Angst. Darüber hinaus versetzt er das in diesem Wirrwarr-Theater zuschauende und das Lesepublikum in einen Zustand der nach Brecht genannten Verfremdung. Eine entlarvende Sicht auf eine sich als „Friedensengel“ und „Verteidiger der Menschenrechte“ ausgebende hochstilisierte Elite mit den USA an der Spitze, die alles unternimmt, ihre aggressiven Weltherrschaftspläne zu kaschieren und sowohl von der „Terrorbekämpfung“ als auch von der hochgeschraubten militärischen Rüstung profitiert. Das Buch sei jenen empfohlen, die das Nachdenken nicht verlernt haben, neugierig geblieben sind und mit zum Gegenwind blasen. So hat Nacktheit, das Herunterreißen von Masken, seine herausfordernden Vorteile. Wer nach der Aufführung den Saal verlässt, der sollte ein anderer sein...
Mathias Bröckers: König Donald, die unsichtbaren Meister und der Kampf um den Thron, Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2017, 208 Seiten, Hardcover ohne Schutzumschlag, 14 Euro, ISBN-10: 3864891906, ISBN-13: 978-3864891908, Größe und/oder Gewicht: 10,6 x 2,1 x 16,2 cm
(Erstveröffentlichung des Buchtipps in der Neuen Rheinischen Zeitung)
[[File:Bogen_Matthes 001-min (1) (461x640)-min.jpg|none|auto]]„Der Schütze von Sanssouci. Das Leben mit einer Göttin – Erkenntnisse und Bekenntnisse aus acht Jahrzehnten“ - Harry Popow
Ein Schützendasein
Buchtipp von Elke Bauer
Ehrlicher geht es nicht. In diesem biographischen Bericht erfahren wir die Gedanken eines Zeitzeugen, eines Offiziers der NVA, der drei gesellschaftliche Etappen der deutschen Geschichte durchlebte: - Faschismus, dargestellt an den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges, - 40 Jahre DDR - vom Optimismus der Aufbaujahre bis zum Unvermögen, den Staat mit den hochgesteckten Zielen zu erhalten, - und der Wende/ Nachwende als Negation seines bisherigen Lebens- und Menschenbildes.
Durch die kritische Sicht auf das neue Staatsgebilde BRD sowie durch persönliche Erlebnisse und Begegnungen lernte er die durchlebte und erkämpfte Zeit im Staat DDR noch mehr schätzen und steht zu ihr - trotz alledem. Das bedeutet aber nicht, dass er das Leben in der DDR und die staatliche Ordnung nicht kritisch hinterfragt hätte und Erscheinungen, die zum Ende der DDR führten, nicht benennt. So entwirft er anhand seiner Biografie, seiner Erlebnisse und persönlichen Auseinandersetzungen ein realistisches Bild vom kleinen Land mit den hohen Ansprüchen. Damit bekommt der Leser ein Erinnerungsbuch in die Hand, das ihn zum: "Ach ja, so war es - war das alles schlecht?" sowohl in Ost, als auch wegen seiner Aufrichtigkeit in West bringt. Man denke an: "Es höre jeder auf die Flüsterungen der Geschichte" (Antoine de Saint - Exupery).
Mahnende Worte von Bertolt Brecht "Zum Volkskongress für den Frieden" (Wien 1952) sind der sinngebende Ausgangspunkt für des Autors Erkenntnisse und Bekenntnisse. Mit der Schilderung seines Lebens, der letzten Kriegsjahre, die er gebeutelt erleben musste, der Evakuierung und der Rückkehr nach Berlin 1945, die Bemühungen der Eltern, an der Gestaltung des neuen Deutschlands mitzuwirken, benennt er die Probleme der Zeit und seine heutige Sicht darauf. Er erlebte die Leistungen seiner Mutter als Dolmetscherin (sie lebte seit 1934 als gebürtige Russin in Deutschland) beim Bau des Treptower Ehrenmals (stolz, sie in der Krypta abgebildet zu sehen), als Personalleiterin und Dolmetscherin bei der SDAG Wismut in Aue und Schwarzenberg im Erzgebirge, ihre Stationen als Dolmetscherin in Berlin und Dresden, als Dozentin in Merseburg. Er malt sehr plastisch und wahrhaftig das Bild des Neubeginns, immer dargestellt an den Handlungen seiner Familie, Freunde und Kollegen ohne in Phrasen zu verfallen. Seine Erinnerung an diese Zeit führt er weiter in seinem biografischen Bericht von der Entwicklung als Bergwerklehrling – auch unter Tage - in Zwickau, seiner beginnenden Ausbildung zum Geologen in Schwerin. Diese bricht er ab, als man ihn "überzeugt", in die KVP, später NVA einzutreten.
Viele Stationen des Armeelebens an den verschiedensten Standorten in der DDR, sein Fernstudium der Journalistik an der Leipziger Karl-Marx-Universität, der Tätigkeit als Diplomjournalist im Offiziersrang an Zeitungen der Armee, sie sind fest eingebettet in das Leben der DDR-Gemeinschaft. So entsteht ein Kaleidoskop des gesellschaftlichen Gefüges in der DDR. Bewusst reiht er sich als „Schütze“ in die große Schar der Verteidiger des Sozialismus in der DDR ein, indem er im Klappentext darauf verweist, dass bereits über 900 Ehemalige und aktive DDR-Bürger ihre Erinnerungen als wertvolle Spuren in die Vergangenheit zu Papier gebracht haben. Das macht das Buch so umfassend.
Nach insgesamt 32 Dienstjahren in der KVP/NVA geht er zum Fernsehen der DDR als journalistischer Berater.
Nicht vergessen sollte man den Untertitel "Das Leben mit einer Göttin". Seine Göttin im Focus, nimmt er die wichtigste Bezugsperson in seine Schilderung auf - Cleo, seine große Liebe. Sie steht in allen Lebenslagen schön und klug an seiner Seite, sie erlebte seine Kämpfe mit, erduldend und duldend, aber auch mit kritischen Hinweisen, treu und Freude bringend, die Familiengeschicke beeinflussend.
Das bedeutete auch, drei Kinder, oft allein, groß zu ziehen, die in der Wendezeit bestanden und heute tüchtig ein selbstbestimmtes Leben führen. Dankbar stellt er diese Seite seines Lebens, die große Liebe und die Fürsorge für die Familie dar, ehrlich und offen. Dabei benennt er auch politisch haltlose Unterstellungen von verschiedenen „Genossen“, die ihm besonders gegen das Ende der DDR hin widerfuhren. Sehr lesenswert wird das Buch auch dadurch, dass er sich nicht als fehlerfreien Menschen, sondern sowohl als kritisch denkendes aber auch als kritisch handelndes Gesellschaftsmitglied darstellt.
Sein Weg nach der sogenannten Wende war steinig, er musste sich mit Minijobs durchschlagen, wie tausende andere Bürger ebenfalls, verließ mit seiner Frau 1996 für neun Jahre Deutschland und ging nach Schweden.
Seit 2005 lebt er wieder mit seiner Frau in der Nähe seiner Kinder in Deutschland, wurde Blogger und Hobbymaler, bespricht interessante politische Sachbücher und macht seine Leserschaft mit Abhandlungen aus linken Zeitungen bekannt. Seine Erlebnisse und Erfahrungen hält er in selbst verfassten Büchern und Essays fest.
Er beendet, wie immer, seine Bücher mit Originalmeinungen und Abhandlungen seiner User zu Zeitereignissen. Besonders erinnerlich ist mir die Erzählung vom "Der Mensch vor dem Supermarkt", die Abhandlungen "Lügenpresse", "Staatsferne" und "Ehe alles zerbricht". Beigefügte private Fotos erhöhen die Authentizität des Buches. Es ist durch sein breites Spektrum des DDR - Lebens, ob seiner Ehrlichkeit und Vielfalt, interessanter Schauplätze und kritischer Sichten, eine sowohl unterhaltsame als auch nachdenklich machende Lektüre. Der Schütze steht hier für´s Ganze, poetisch erweitert durch das Bild des Bogenschützen von Sanssouci.
Zur Rezensentin: Elke Bauer, geb. 1939, Bibliothekar an allgemeinbildenden Bibliotheken der DDR/ Fachschule für Bibliothekare Leipzig 1961, Diplomkulturwissenschaftler/Universität Leipzig 1970, Bibliothekar in ltd. Funktion bis 1991, Aufbau einer eigenen Buchhandlung, selbstständige Buchhändlerin 1991 bis 2001, Rentnerin, ab 2011 in München lebend. (Dieser Buchtipp wurde mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin veröffentlicht.)